Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)
und die ersten stellten sich auf die Bänke.
Heute würden wir nur die großen Kracher
spielen. Hier war kein Platz für Balladen und sanfte Töne. Dabei war es genau das,
was ich am meisten liebte. Ich sehnte mich nach dem letzten Wochenende, als
sich unsere Blicke getroffen hatten, als diese kleine Kneipe erfüllt war von harmonischen
Melodien. Hier spielten wir einen Rockklassiker nach dem Nächsten und die
Stimmung wurde immer ausgelassener, wenn das überhaupt noch möglich war. Die Kellner
hatte einiges zu tun, den nicht enden wollenden Wunsch nach Bier und Schnaps
nachzukommen.
Da erblickte ich ihn. Er stand
sichtlich belustigt an einem Holzpfosten gelehnt und hatte einen großen
Bierkrug in der Hand.
Als es endlich an der Zeit war, eine
Pause einzulegen und dem DJ für ein paar Minuten das Spielfeld zu überlassen,
schlenderte ich zu ihm herüber und versuchte dabei gekonnt gelassen auszusehen.
Sein Grinsen wurde nur noch breiter.
»Ich denke heute kann ich dich nicht
auf einen Whiskey einladen«, sagt er, als er zu mir herunterblickte. Mir war
bei unserem letzten Treffen gar nicht aufgefallen, dass er einen guten Kopf
größer war als ich.
»Ein Wasser würde schon reichen«,
stöhnte ich. Meine Kehle fühlte sich völlig verdorrt an.
Wie von Zauberhand griff er hinter
sich und holte eine Flasche kühles Wasser hervor. Ich lehnte mich zu ihm an den
Holzpfosten und ließ das kühle Nass meinen Hals hinunter rinnen.
»Sag bloß nicht, dass du dir das hier
völlig freiwillig antust«, flüsterte er mir ins Ohr und kam mir dabei sehr nah.
Sein Duft stieg mir in mir in die Nase. Er roch unheimlich gut und dabei konnte
ich nicht einmal beschreiben wonach. Selbst sein Geruch war faszinierend und
rätselhaft – genauso wie er.
»Der Preis könnte höher sein«,
erwiderte ich und er begann zu lachen - tief und rauchig, warm und sinnlich. »Wie
bist du überhaupt hierhergekommen?«
»Ich hab am Mittwoch Plakate am
Straßenrand gesehen, in denen ihr angekündigt wurdet. Da konnte ich nicht
wiederstehen.«
»Du lügst aber auch nicht sehr gut,
weißt du das?« Ich konnte den verwunderten Blick auf seiner Stirn förmlich
greifen. Doch die Verwunderung wich schnell tiefer Zufriedenheit.
»Sie sollten euch das Doppelte zahlen«,
raunte er, als einer der Betrunkenen einige Meter neben uns in die Zeltplane stürzte.
»Du wirktest nicht sehr glücklich vorhin.« Wieder trafen mich diese Augen,
denen ich nichts vormachen konnte.
»War das so offensichtlich? Scheiße,
das ist nicht gerade professionell.« Hoffentlich war das unseren Auftraggebern
nicht auch aufgefallen. Michael erhoffte sich aus diesem Auftritt weitere
Reputationen. Ich wollte nicht daran schuld sein, dass es dazu nicht kommen
würde.
»Ich glaube nicht, dass es denen
aufgefallen ist«, flüsterte er mir beruhigend zu und zeigte mit seinem Bierglas
in Richtung der tanzenden Menge. »Aber für mich sah es so aus, als wärst du
gern lieber wo anders. Sagen wir bei einem Moment vor einer Woche?«
Ich blickte ihn an und beide konnten
wir uns ein Lächeln nicht verkneifen.
* * *
»Wie bitte? Und du hast ihm immer
noch nicht deine Nummer gegeben? Emilia!«, fluchte Jessica hinter mir und
malträtierte meine Haare. Es ziepte höllisch.
»Aua, könntest du mal bitte aufpassen?
Es wäre hilfreich, wenn ich nachher noch überall Haare hätte und sich keine
kahlen Stellen an meinem Hinterkopf abzeichnen!«
»Dieser Mann ist deinetwegen in die
provenzalische Hölle gefahren und er kann sich nicht mal bei dir melden?!«,
wütete sie weiter, hatte aber zumindest ihre Ruppigkeit, was meine Frisur
anging, etwas abgelegt.
Ich funkelte sie erbost über den
Spiegel hinweg an, aber sie sah nicht auf. Zu vertieft war sie darin, aus mir
eine Prinzessin zu machen.
Vor drei Tagen hatte eine aufgelöste
Braut bei uns angerufen, deren Band in letzter Sekunde abgesprungen war. Ein
Freund hatte uns weiter empfohlen und so konnten wir nichts anderes tun, als ›ja‹
zu sagen. Wir würden auf ihrer Hochzeit spielen, auch wenn das schon in drei
Tagen sein würde – also heute.
Sofort hatte ich Jessica angerufen.
Ich hatte keinerlei Ahnung, was man als Sängerin einer Hochzeitsband tragen
sollte und so hatte ich mich ganz auf ihre Stilsicherheit verlassen. Mal wieder
war ich mehr als dankbar dafür, dass sie ein Teil meines Lebens war, auch wenn
sie, was meine Handhabung mit Männern anging, definitiv anderer Meinung war als
ich.
»Ich lasse mich nun mal nicht gleich
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