Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)
kühle Maske verschwunden und Besorgnis lag in seinem Blick. Nicht
schon wieder. Warum ausgerechnet jetzt? Warum ausgerechnet er?
»Wie geht es Natascha«, versuchte ich
vom Thema abzulenken.
Natascha war seine Freundin. Sie
waren schon eine Ewigkeit zusammen, länger als Robert und ich es gewesen waren
und ich fragte mich, warum sie immer noch nicht geheiratet hatten. Sie war
schon längst dazu bereit, wartete sogar darauf. Das hatte sie mir an einem
stillen DVD Abend einmal anvertraut. Aber Alexander schien immer noch das Für
und Wider abzuwägen, wie so oft in seinem Leben. Für ihn gab es keinerlei
Notwendigkeit. Er liebte diese Frau, dafür brauchte er keinen amtlichen Akt,
geschweige denn ein Blatt Papier, das dies dokumentierte.
Er atmete tief ein und schob seine
Brille nach oben, ganz so, als ob er dadurch besser sprechen könne. »Das ist
doch jetzt nicht dein Ernst. Hier geht es nicht um Natascha, sondern um dich!«
Warum wollte nur alle Welt immer mit
mir darüber reden? Reichte es nicht, dass ich hier war und augenscheinlich
lebte? Ich spürte förmlich, wie das Blut in meinen Adern vor Wut zu kochen
begann.
»Was willst du hören?«, blaffte ich
ihn an. »Die Uhr dreht sich weiter. Die Zeit vergeht, ohne auf das Schicksal
von Einzelnen Rücksicht zu nehmen.«
Er schwieg und es schien fast so, als
wollte er so weiteren Wörtern meinerseits einen Raum geben. Ich hatte nicht vor,
darauf einzugehen. Ich würde ihm nicht alles auf einem silbernen Tablett
servieren.
Wieder wanderte seine Hand zu seiner
Brille und schob sie ein Stück nach oben. »Was wirst du jetzt machen?«, fragte
er unverhohlen.
»Was meinst du?«
»Emilia, ich weiß es und du weißt es
auch. Was machst du den ganzen Tag lang? Schlafen, aufstehen, arbeiten, essen,
schlafen? Das dürfte doch alles gewesen sein, oder?«
Ich sah auf meinen Kartoffelbrei und
streifte mit der Gabel kleine Furchen hinein. Es hatte beinahe etwas Meditatives
und ich verstand langsam, warum sich gestresste Manager kleine Schalen mit Sand
und einer Harke zulegten.
»So geht das nicht weiter!«
»Was erwartet du von mir? HMM? Es ist
gerade einmal drei Wochen her! DREI WOCHEN! Verdammt nochmal soll ich vor GLÜCK
TANZEN ODER WAS?!!« Ich hatte die letzten Worte geschrien und einige in der
Mensa drehten sich zu uns, um die Quelle der Störung zu finden.
Er legte sein Besteck beiseite und
ergriff meine Hand, die gerade dabei war, einen vierspurigen Püree-Highway zu
bauen. Warum nur machten das bloß alle? Als ob es irgendeine heilende Wirkung
hätte, wenn man die Hand eines anderen festhielt.
»Du kannst das nicht allein schaffen.
Du brauchst Hilfe! Du kannst dich nicht permanent in die Arbeit stürzen und
hoffen, dass schon alles irgendwie vorbei geht. Sieh doch mal in den Spiegel!
Du bist nur noch ein Schatten deiner selbst!« Seine Stimme versprühte einen
warmen aber auch auffordernden Ton. Er würde wohl so lange hier sitzen bleiben
und auf mich einreden, bis ich mich darauf einließ – was auch immer das sein
mochte.
Stirnrunzelnd ließ er meine Hand los und
lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Als mein Vater verstarb, habe ich das Gleiche
wie du getan. Ich habe versucht mich in eine Flut aus Beschäftigung zu stürzen,
um damit den Schmerz zu betäuben. Ich hatte damals Natascha, die mir immer
wieder den Kopf gewaschen hat. Keine Ahnung, wo ich ohne sie heute wäre.«
»Er war mein Mann, nicht mein Vater«,
entgegnete ich.
Als hätte er meine Worte nicht
gehört, setzte er fort. »Meine Schwester hatte nicht so viel Glück. Sie war
allein und sie wollte sich auch von uns nicht helfen lassen. Sie zog sich immer
mehr zurück, wurde immer depressiver.«
Er musste schlucken und ich spürte,
dass es ihm sehr unangenehm war darüber zu sprechen. Sollte er doch an seinen
Worten ersticken!
»Sie wollte ihren Schmerz mit
Tabletten betäuben. Ich habe sie zusammengesunken im Badezimmer gefunden. Keine
Ahnung, wie lange sie da schon gelegen hatte. Nachdem man ihr im Krankenhaus
dem Magen ausgepumpt hatte, wurde sie in eine geschlossene psychiatrische
Klinik eingeliefert.«
»Ist es das was du befürchtest? Das
ich einer Tablettensucht verfalle und mich niemand im Bad findet?« Meine
Stimme klang schnippischer als ich es beabsichtigt hatte und sofort überkam
mich ein schlechtes Gewissen. Er versuchte mir ja nur zu helfen.
Aber es war genau das, was mich so
wütend machte. Alle versuchen einem immer nur zu helfen, mit leeren Floskeln
und komischen
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