Schatten der Liebe
Reihe dicker Perlen aus dem Etui nahm. »Dreh dich um, ich mache dir die Kette zu.«
Zwanzig Minuten später stand Meredith wieder vor dem Spiegel und versuchte verzweifelt, sich einzureden, daß sie hübsch aussah. Ihre Haare waren wieder genauso gerade und kindlich frisiert wie immer, aber die Perlen brachten das Faß zum Überlaufen. Ihre Großmutter hatte sie fast täglich umgehabt, sie hatte sie noch auf dem Totenbett getragen, und jetzt lagen sie wie Blei auf Merediths nicht vorhandenem Busen. »Entschuldigung, Miss.« Die Stimme des Butlers, die durch die Tür drang, ließ sie herumfahren. »Unten ist eine Miss Pontini, die angibt, eine Schulfreundin von Ihnen zu sein.«
Ertappt ließ sich Meredith auf ihr Bett fallen und versuchte verzweifelt, irgendeinen Ausweg aus dieser vertrackten Situation zu finden. Aber es gab keinen, und das wußte sie auch. »Bitte, führen Sie sie herauf.«
Eine Minute später trat Lisa ins Zimmer und sah sich um, als befände sie sich auf einem fremden Planeten. »Ich habe versucht, anzurufen«, sagte sie, »aber es war über eine Stunde belegt. Also habe ich beschlossen, einfach auf gut Glück herzukommen.« Sie verstummte, drehte sich im Halbkreis und studierte alles eingehend. »Wem gehört dieser Steinhaufen eigentlich?«
Zu jeder anderen Zeit hätte eine derart respektlose Beschreibung des Hauses Meredith zum Kichern gebracht. Jetzt konnte sie nur kleinlaut und leise antworten: »Meinem Vater.«
Lisas Miene verfinsterte sich. »Ich hatte mir schon so etwas ähnliches gedacht, als der Mann, der mir die Tür aufgemacht hat, dich Miss Meredith nannte - mit derselben Hochachtung in der Stimme, mit der Pater Vickers >Heilige Jungfrau Maria< sagt.« Lisa drehte sich auf dem Absatz um und wollte gehen.
»Lisa, warte!« flehte Meredith.
»Okay, du hast deinen Spaß gehabt. Heute war wirklich ein phantastischer Tag«, fügte sie sarkastisch hinzu und wandte sich erneut ab. »Zuerst holt mich Mario zu einem Ausflug ab und versucht mir die Kleider vom Leib zu reißen - und wenn ich dann meine >Freundin< besuchen will, stellt sich heraus, daß sie sich die ganze Zeit über mich lustig gemacht hat.«
»Das habe ich nicht!« rief Meredith. »Ich habe dich in dem Glauben gelassen, daß Fenwick mein Vater ist, weil ich Angst hatte, daß die Wahrheit uns auseinanderbringen würde.«
»Sicher! Bestimmt!« konterte Lisa in ungläubiger Wut. »Das reiche kleine Mädchen wollte unbedingt die Freundin des armen kleinen Mädchens werden. Ich wette, du und deine reichen Freunde, ihr habt euch köstlich darüber amüsiert, daß ich dich zum Spaghettiessen zu uns eingeladen habe und ...«
»Hör auf!« schrie Meredith. »Du willst mich wohl nicht verstehen! Ich mag deine Mutter und deinen Vater, und ich wollte deine Freundin werden. Du hast Geschwister und Onkel und Tanten und all das, was ich mir gewünscht habe. Warum glaubst du, daß alles einfach wunderbar sein muß, bloß weil ich in diesem blöden Haus wohne? Schau, wie es auf dich gewirkt hat! Ein Blick, und du willst nichts mehr mit mir zu tun haben. So geht das, solange ich mich erinnern kann. Und nur zu deiner Information: Ich liebe Spaghetti. Ich liebe Häuser wie eures, wo gelacht und Krach gemacht wird!«
Sie brach ab, als sie sah, daß der Ärger auf Lisas Gesicht einem sarkastischen Lächeln gewichen war.
»Du magst Krach?«
Meredith lächelte matt. »Ich denke ja.«
»Was ist mit deinen reichen Freunden?«
»Ich habe keine. Das heißt, ich kenne andere Leute in meinem Alter, und ich sehe sie hin und wieder, aber sie gehen alle auf die gleichen Schulen und sind seit Jahren miteinander befreundet. Sie betrachten mich als eine Art Außenseiter.«
»Warum schickt dein Vater dich nach St. Stephen's?«
»Er denkt wohl, es stärkt den Charakter. Meine Großmutter und ihre Schwester sind dort zur Schule gegangen.«
»Dein Vater hat komische Ansichten.«
»Wahrscheinlich hast du recht, aber er handelt in bester Absicht.«
Lisa zuckte mit den Schultern und sagte betont lässig: »In der Beziehung ist er dann wohl wie die meisten Väter.« Das war ein winziges Zugeständnis, ein zögernder Versuch, etwas Gemeinsames zu finden. Beide schwiegen. Getrennt durch ein Louis-XIV-Himmelbett und eine gewaltige soziale Kluft, betrachteten sich zwei außergewöhnlich intelligente Teenager mit einer Mischung aus enttäuschter Hoffnung und Mißtrauen.
»Ich gehe jetzt wohl besser«, sagte Lisa.
Meredith blickte freudlos auf den
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