Schatten der Vergangenheit (Junge Liebe) (German Edition)
überrasche euch, dich und Oma“, erkläre ich ihr, ungeachtet ihres forschenden Blickes, der sehr ausführlich über meine Erscheinung wandert und jede noch so kleine Veränderung registriert und verarbeitet, bis ihr Blick schließlich wieder in meinem Gesicht ankommt.
„Du hast dich ganz schön verändert. Kaum wiederzuerkennen. Aber du siehst hübsch aus. Du bist ein richtig stattlicher Mann geworden“, schwankt ihre Bewunderung zwischen Schmeicheleien und versteckter Kritik, weil sie es mir noch immer übel nimmt, dass ich sie an den letzten sechs Jahren meines Lebens so gut wie nicht teilnehmen lassen habe. Und natürlich schwingt auch eine ordentliche Portion Übertreibung mit, die wohl keine Mutter unterdrücken kann.
„Ist Peter da?“, lenke ich deshalb hastig von mir ab, weil ich einfach keine Lust habe, mich jetzt irgendwie zu rechtfertigen oder zu erklären, was auch wunderbar klappt.
„Er ist immer noch dein Vater, Benjamin“, kann meine Mum sich eine Zurechtweisung nicht sparen, die ich nur mit einem knappen „pff, das war er nie“ abtue und schlicht fragend eine Augenbraue hochziehe, um endlich eine einfache Antwort auf meine schlichte Frage zu bekommen.
„Er ist noch im Krankenhaus, bei Oma. Willst du nicht reinkommen?“, scheint ihr endlich aufzugehen, dass wir noch immer vor der Haustür stehen und sich die Nachbarn wahrscheinlich schon fragen, was das hier wird, wenn sie mich nicht doch erkennen sollten. Allerdings bezweifle ich diese Möglichkeit sehr stark, wenn selbst meine Mum schon so auf mein Äußeres reagiert hat und kann mir den wildesten Dorfklatsch lebhaft vorstellen, weshalb ich ihr mit einem knappen Nicken in mein Elternhaus folge.
Das erste, was ich dabei wahrnehme, ist der so vertraute Duft, selbst nach all den Jahren noch, als wäre ich erst gestern zum letzten Mal hier gewesen oder gerade aus der Schule heimgekommen. Und auch rein optisch hat sich kaum etwas verändert. Als wäre die Zeit nach meinem Auszug stehengeblieben.
„Dein altes Zimmer ist auch noch so, wie du es verlassen hast. Du kannst also auch hier schlafen …“, scheint meiner Mum meine Musterung, die in einem neugierig sehnlichen Blick nach oben endet, nicht entgangen. Doch ich unterbreche sie abrupt, ehe sie ihren Satz zu Ende bringt.
„Nein. Ich will ihm nicht begegnen, wenn es sich vermeiden lässt. Gibst du mir bitte die Schlüssel zu Omas Wohnung? Ich werde morgen früh zu ihr in die Klinik fahren und komme dann anschließend wieder her. Dann können wir auch besprechen, wie lange ich bleibe, falls er arbeiten ist“, mache ich ihr unmissverständlich klar, dass ich so schnell wie möglich wieder von hier verschwinden werde und auch wenn ich natürlich bemerke, wie sehr es sie verletzt, will ich ihr doch keine falschen Hoffnungen machen. Mein Leben findet nicht mehr hier statt.
„Dein Vater“, betont sie ihre Worte absichtlich, um mir zu verdeutlichen, dass ich an der Tatsache nun mal nichts ändern kann, „arbeitet morgen bis vier. Danach fährt er sicher direkt in die Klinik, aber ihr solltet euch wirklich aussprechen“, zögert sie, mir die Schlüssel zu überlassen, weil sie auf eine Erwiderung von mir hofft, die ich ihr ganz sicher nicht geben werde. Sie hat es immerhin sechs Jahre lang nicht geschafft, mich zu einem Gespräch mit meinem sogenannten Vater zu bewegen und wird es auch jetzt nicht bewerkstelligen, weshalb ich einfach stumm nach dem Schlüsselbund in ihrer Hand greife und mich mit einem knappen „bis morgen“ von ihr verabschiede.
Doch in der Wohnung meiner Oma, die ohne sie erschreckend leer und ungemütlich wirkt, obwohl ich mich hier in meiner Kindheit und Jugend immer wohl gefühlt habe, finde ich irgendwie keine Ruhe und muss wieder raus. Als könnte ich so dem erdrückenden Gefühl der Einsamkeit und des Verlustes entgehen, auch wenn es mich seit meiner Ankunft bereits beherrscht. Es war wirklich ein einziger großer Fehler wieder herzukommen und selbst wenn ich es mir noch tausendmal versuche auszureden, ändert es nichts an der Sache. Ich gehöre hier nicht mehr hin, auch wenn mich alles an meine Vergangenheit erinnert. Im gesamten Dorf hat sich kaum etwas grundlegend verändert, als wolle es mir vor Augen führen, was ich zurückgelassen habe.
Selbst das kleine Gasthaus, in dem wir damals einen Großteil unserer Freizeit beim Billard spielen verbracht haben, existiert noch und lockt mich einen Blick hineinzuwerfen, in der irrsinnigen Hoffnung in einige
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