Schatten der Vergangenheit (Junge Liebe) (German Edition)
Schwestern und Ärzte in keiner Form um ihren Job beneide. Es sei denn, man bekäme eine Kilometerzulage, für jeden gelaufenen Schritt, das würde den Beruf doch durchaus reizvoller machen.
Hätte man nur nicht mit kranken Patienten zu tun und müsste sich manches Leid ansehen, wie mir gerade schmerzlich bewusst wird, als ich behutsam näher an das Bett meiner Großmutter herantrete und mir als allererstes ins Auge sticht, wie schwach und zerbrechlich sie wirkt, obwohl ich sie immer quietschfidel und voller Energie in Erinnerung habe. Doch jetzt ist sie nur schwer in der Lage, ihre Hand anzuheben, um mich mit einem liebevollen, aufrichtigen Lächeln zu sich heranzulocken, kaum dass sie mich ausmacht.
„Mein Junge“, klingt ihre Stimme dünn und zittrig, aber dennoch überrascht über mein Erscheinen, was mich glücklich lächeln lässt, weil ich ihr allein durch meinen Besuch wenigstens eine kleine Freude machen kann.
„Hey, Omi. Wie fühlst du dich?“, schenke ich ihr eine innige Umarmung, bei der ich fast befürchte, sie könnte zerbrechen und mich wieder aufrichte, als keine Antwort von ihr kommt, sondern ihr Blick an mir vorbeigleitet.
Hin zu Marc, der plötzlich auf der anderen Seite des Bettes steht und mit seinem lässig geöffneten Arztkittel verboten sündige Fantasien in mir weckt, weshalb ich meinen Blick ziemlich abrupt wieder von ihm abwende.
Arzt, ausgerechnet Arzt? Und zu allem übel dann auch noch in dem Krankenhaus, welches meine Oma beherbergt. Als gäbe es nicht hunderte Kliniken in diesem Land, muss es ausgerechnet diese hier sein? Ich gebe zu, es ist am naheliegendsten und gerade mal zehn Minuten Autofahrt von unserem Heimatdorf entfernt, aber in einer Klinik in Hamburg, Berlin oder München würde er doch sicher viel mehr lernen. Wobei, Berlin schließen wir besser mal aus, weil er dann viel zu sehr in meiner Nähe wäre. Außerdem, warum ausgerechnet Arzt? Ist dem eigentlich nichts Besseres eingefallen? Und ich dachte damals in der Grundschule, das verwächst sich noch, als er bei jeder Verletzung sofort zur Stelle war und erste Hilfe geleistet hat. Wo wir Jungs alle noch vermuteten, es sei seine Masche, um an die Mädels ranzukommen. So kann man sich täuschen.
„Wie fühlen Sie sich, Frau Höfer?“, reißt er mich frech aus meinen konfusen Gedanken und richtet seine gesamte Aufmerksamkeit auf meine Großmutter, während er nebenbei scheinbar ihren Puls misst, wobei sie ihn anstrahlt wie den wahr gewordenen George Clooney aus Emergency Room. Dabei kann der nicht annähernd mit Marc mithalten. Und für genau diesen Gedanken könnte ich mich gerade selbst ohrfeigen, bevorzuge es allerdings, meine geklemmte Hand gegen den Nachttisch meiner Oma zu hauen, als ich ablenkend nach einer ihrer Zeitschriften greifen will, was mich schmerzhaft aufzischen lässt.
„Hast du dir wehgetan, mein Junge?“, habe ich natürlich umgehend die Aufmerksamkeit meiner Oma auf mir und, wie ich zu meinem Bedauern feststellen muss, auch die von Marc, der mich skeptisch mustert und keinen Zweifel daran lässt, dass er mich immerhin wahrgenommen hat.
Doch meine zusammengepressten Zähne, damit meiner Kehle bloß kein Schmerzenslaut entweicht, hindern mich an einer Antwort, weshalb ich nur hastig abwehrend mit dem Kopf schüttle, währenddessen Marc sich, schneller als ich gucken kann, über das Bett beugt und nach meinem Handgelenk greift.
„Zeig her“, jagt mir seine brummige Stimme angenehme Schauer über den Rücken und zwingt mich instinktiv, ihm meinen Arm zu entziehen, woraufhin mich seine Augen zornig anfunkeln.
„Es ist alles bestens, danke“, zische ich ihn grob an, um ihm mit aller Deutlichkeit zu zeigen, dass ich seine Hilfe nicht brauche, was meine Oma natürlich wieder auf den Plan ruft.
„Jetzt lass den Marc doch mal gucken. Der ist schließlich Arzt und weiß besser Bescheid als du“, ermahnt sie mich schwach und wird durch ein lachendes
„Noch nicht, Frau Höfer“ von Marc unterbrochen.
„Ach Papperlapapp. Die paar Semester machen den Kohl auch nicht mehr fett und ich weiß schon jetzt, dass du der beste Arzt sein wirst, den dieses Krankenhaus je gesehen hat. Du hast ja jetzt schon mehr drauf, wie diese ganzen Stümper hier“, funkeln ihre Augen angriffslustig bei jedem Wort und verdeutlichen, wie sie am liebsten ohne Skrupel drauflos wettern würde, wenn ihr Gesundheitszustand es nur zulassen würde. Wobei sie es keineswegs versäumt, Marc dabei ordentlich Honig ums Maul zu
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