Schatten Der Versuchung
ein kostbarer Kunstgegenstand zu sein.
»Sieht ganz harmlos aus, was?«, stellte Natalya fest. »Aber das Äußere kann täuschen. Mit diesem Messer sind unzählige Morde begangen worden.« Ihre Hand verharrte in der Luft über der Klinge und zitterte leicht. Natalya zog sie zurück.
Die Sonne war untergegangen. Vikirnoff und sie hatten miteinander geschlafen und dann in den heißen Quellen gebadet. Es war ihr schwergefallen, nicht sein Blut zu trinken. Sie sehnte sich immer mehr danach, als wäre es eine Droge, auf die sie süchtig war. Nun, da sie wusste, dass Razvan noch am Leben war, schien die Vorstellung, Karpatianerin zu werden, ebenso tröstlich wie verheißungsvoll.
Sie trugen beide die Sachen, die Vikirnoff für sie gemacht hatte. Jetzt galt es nur noch, eine Aufgabe zu erfüllen: das Messer zu berühren, um Zugang zu den blutigen Erinnerungen zu bekommen, die mit der zeremoniellen Waffe verbunden waren.
»Ich habe Nahrung zu mir genommen, und ich bin hier als dein Anker, der dich in dieser Welt und dieser Zeit hält.« Vikirnoff strich liebevoll über ihr Haar. »Die Schutzschilde sind errichtet, und meine Pflicht Gabrielle gegenüber ist erfüllt. Falcon hat ihr Blut zum zweiten Mal erneuert, und wir alle sind dem Ruf gefolgt, sie zu heilen. Unsere Zeit ist gekommen, Natalya. Wenn du herausfindest, welche Erinnerungen mit dem Messer verknüpft sind, bekommen wir hoffentlich einen Anhaltspunkt darauf, wo das Buch versteckt ist. Sowie wir es haben, bringen wir es an einen sicheren Ort, wo es entweder zerstört oder gut bewacht werden kann.«
Natalya holte tief Luft. »Das Messer zu lesen, wird nicht leicht sein, Vikirnoff. Wir werden die Erinnerungen derer, die durch diese Waffe umgekommen sind, durchleben.«
Seine Hand wanderte ihren Arm hinauf bis zur Schulter und streichelte sie zärtlich. »Ich weiß, dass es schwer für dich ist. Wenn ich könnte, würde ich dir diese Aufgabe abnehmen.«
Sie saß inmitten flackernder Kerzen, vor sich das Messer. Das Plätschern des Wassers im Becken wirkte beruhigend, und Vi-kirnoffs Anwesenheit gab ihr ein Gefühl von Geborgenheit. Sie hatte schon Hunderte Male Gegenstände »gelesen«, aber es widerstrebte ihr, den Tod ihrer Großmutter und, schlimmer noch, den ihres Vaters mitzuerleben, auch wenn Vikirnoff bei ihr war, um ihr beizustehen. »Du glaubst, dass ich es kann.«
»Ich weiß es.«
»Bevor ich es wage, möchte ich dir sagen, dass ich nicht mehr sauer auf dich bin.«
Er zog die Augenbrauen hoch. »Du warst böse auf mich?«
Sie starrte ihn erzürnt an. »Na, und ob! Mist! Du hast es nicht mal gemerkt?«
»Wir haben ein dutzend Mal, vielleicht öfter, miteinander geschlafen. Du hast mich ein paar Mal gebissen, und auf meinem Rücken sind Kratzer, aber ich habe all das genossen.«
»Weil du pervers bist. Und das habe ich nicht gemeint. Ich rede von deiner blöden und reichlich selbstherrlichen Entscheidung, uns aneinanderzubinden.«
»Natalya?«
»Ja?«
»Du klingst wütend.«
»Bin ich auch. Und du hast es nicht mal zur Kenntnis genommen. Ist dir klar, wie frustrierend das ist? Ich dachte die ganze Zeit, du leidest, weil ich sauer auf dich bin, aber du hast es gar nicht gemerkt!«
»Tut mir leid. Ich hätte aufmerksamer sein müssen.«
»Du klingst nicht so, als täte es dir leid.« Sie strich mit den Fingerspitzen über den Rand der Klinge und hielt ihre Handfläche darüber, um die Intensität der gewalttätigen Schwingungen zu testen. »Ehrlich gesagt, Vikirnoff, ich mache das gar nicht gern.«
»Ich weiß. Und ich kann es verstehen. Niemand will die Folterung und den Mord an seinen Eltern oder seiner Großmutter erleben.« Vikirnoff kniete sich hinter sie. Er wusste, dass Natalya sich Mut machte und hauptsächlich mit ihm redete, um ihr Zaudern zu überspielen. »Ich gehe jeden Schritt des Weges mit dir. Wenn die Erinnerungen zu schlimm werden, tue ich, was ich kann, um den Schmerz zu lindern.«
»Was ist, wenn du mit mir dort stecken bleibst und wir beide nicht zurückkönnen, bis jede Tötung noch einmal vollzogen worden ist? Es war deine Stärke, die mir ermöglicht hat, aus der Vergangenheit zurückzukehren.«
Seine Arme schlossen sich um sie, und er nahm ihre Hände in seine. »Du fühlst die Gewalttätigkeit des Messers, ohne es zu berühren.«
Natalya lehnte sich an seine Brust und ließ ihren Kopf an seine Schulter sinken. »Ja, aber noch lese ich nicht die Erinnerungen.«
»Ich möchte das Messer in meiner Hand halten, mit
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