Schatten Des Dschungels
die Jeans aufreißen werden, aber egal, ich stelle einen Fuß auf eine eiserne Querstange, stoße mich mit dem anderen Fuß ab und schon bin ich drüber. Uff. Sogar die Jeans ist noch ganz.
In der nächsten Straße patrouilliert ein Streifenwagen, erschrocken ducken wir uns in eine offene Toreinfahrt. Haben die Polizisten uns bemerkt? Schnelle Bewegungen machen sie besonders misstrauisch, wir hätten uns nicht so verstohlen bewegen dürfen! Von hier aus kann ich den Streifenwagen nicht sehen – hat er angehalten? Wir pressen uns gegen die Wand der Einfahrt, so nah nebeneinander, dass ich fühlen kann, wie der Blonde Luft holt. Es riecht kühl hier, nach Beton und altem Motoröl.
Minutenlang geschieht nichts, keiner kommt. Nach ein paar Minuten verlassen wir die Toreinfahrt und gehen rasch weiter, bis wir mehrere Straßen entfernt sind. Hier müssten wir eigentlich in Sicherheit sein. Die Demo ist jetzt sehr fern, man hört nichts mehr davon.
Mein Atem geht schnell, aber nur vor Aufregung; ich laufe Halbmarathon und trainiere dreimal die Woche dafür.
Wir schauen uns an und dann müssen wir plötzlich grinsen. »Du gehst jetzt nicht wieder hin, oder?«, fragt der Blonde.
Ich verziehe das Gesicht und betaste meine Schulter. Zum Glück scheint sie sich langsam wieder zu erholen. »Nee, ich glaube nicht. Das war ja nur noch ein komplettes Chaos.« Hoffentlich ist den anderen Leuten von Living Earth nichts passiert!
»Wenn diese Betonköpfe von Ministern sich geeinigt hätten, wäre es nicht so weit gekommen«, sagt er und einen Moment lang sind seine grauen Augen dunkel wie Schiefer. »Diese ganzen politischen Manöver kotzen mich an.«
»Geht mir auch so.« Eigentlich könnte ich jetzt Tschüss sagen und gehen – zurück zur Zentrale von Living Earth oder nach Hause oder wohin auch immer. Aber meine Füße wollen sich einfach nicht bewegen. Noch einmal treffen sich unsere Blicke und die Wut verschwindet aus seinem Gesicht.
»Ach übrigens – danke«, sagt er. »Für das eben.« Auch er scheint nicht gehen zu wollen. Noch immer sehen wir uns an.
»Kein Problem«, meine ich und wundere mich darüber, warum mein Herz schon wieder so schnell schlägt. Ich will ihn fragen, wie er heißt, aber da meldet sich sein Handy, er blickt auf das Display und runzelt die Stirn. »Ich muss los«, sagt er hastig und hebt die Hand zum Gruß. Ein paar Sekunden später ist er hinter der nächsten Ecke verschwunden und die Straße ist furchtbar leer ohne ihn.
Auf Entzug
In der Zeit nach der Demo bin ich irgendwie neben der Spur. In der Schule – der International Academy Munich – hänge ich nur lustlos auf meinem Stuhl, der Unterricht rauscht an mir vorbei. Der blonde Typ geht mir nicht aus dem Kopf. Statt in 3-D-Simulation an meinem Projekt, einem Berggipfel mit umherfliegenden Steinadlern, weiterzuarbeiten, versuche ich ein Phantombild von ihm zu erstellen. Vielleicht könnte ich es ins Netz stellen und so herausfinden, wer er ist; vielleicht findet er das lustig und meldet sich von selbst.
Doch das Zeichnen klappt nicht so richtig; meine Mutter ist zwar Kunsterzieherin, aber ich selbst bin eine Niete in Kunst. Wütend lösche ich das Bild wieder, weg damit! Es sieht ihm überhaupt nicht ähnlich. Und warum zum Teufel habe ich ihn nicht einfach nach seinem Namen gefragt? Kann man wirklich so dämlich sein?
»Kommst du voran?« Plötzlich steht Herr Brooks neben mir und späht über meine Schulter. Ich zucke zusammen. »Äh, ja, irgendwie schon.«
Herr Brooks schaut erstaunt auf meinen völlig weißen Monitor. »Irgendwie schon?«
»Genau«, sage ich und lade schnell meinen Berg, auf dem sich winzige Alpinisten zum Gipfel vorarbeiten. Zufrieden zieht Brooks ab.
Als ich auch in Interkultureller Kommunikation kaum den Mund aufkriege, zischt mir meine beste Freundin Eloísa zu: »Nicht abschwächeln, Cat! Heute Abend, du weißt schon. Die Nacht aller Nächte!«
»Schon klar«, flüstere ich zurück. Heute ist die Party zu ihrem siebzehnten Geburtstag – Eloísa ist ein paar Monate älter als ich –, und sie hat ihre Eltern überreden können, ihr die Wohnung zu überlassen und lange auszugehen.
Blöderweise bin ich absolut nicht in Partystimmung. Im Gegenteil, ich will alleine sein, dann kann ich in Gedanken noch einmal den Film der Demo und unserer Flucht ablaufen lassen. Also rufe ich Eloísa nach Schulschluss nur schnell zu: »Bis später dann!«, und verdrücke mich in den Nymphenburger Park, der mehr schlecht als
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