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Schatten des Wahns: Stachelmanns dritter Fall (German Edition)

Schatten des Wahns: Stachelmanns dritter Fall (German Edition)

Titel: Schatten des Wahns: Stachelmanns dritter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian V Ditfurth
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er doch an Depressionen gelitten hat? Aber das hätte Carmen doch gewusst und Stachelmann gesagt, weil es sie entlastete. Einem Menschen, der unter Depressionen litt, kann man nicht helfen durch gutes Zureden. Der verliert sich in seiner Welt der Finsternis. Auf Stachelmann hatte Ossi nicht gewirkt wie ein Depressiver. Dann griff Stachelmann doch zum Telefon. Carmen hob ab.
    »Wie kommt er an dieses Spray, gibt es das in Apotheken?«
    »Nein«, sagte Carmen. »Das Zeug ist noch nicht im Handel. Wir wissen nicht, woher er es hat. Und wir wissen auch nicht, warum er sich nicht mit einer Überdosis Tramal begnügt hat, die hätte auch gereicht. Die Pathologen sagen, er habe womöglich auf Nummer sicher gehen wollen. So wie die Leute, die in der Badewanne Schlaftabletten nehmen, damit sie ertrinken, falls die Tabletten nicht reichen.«
    »Hatte er Depressionen?«
    Sie überlegte kurz. »Nein. Er war manchmal niedergeschlagen. Aber wer ist das nicht? Und wer trauert nicht verpassten Gelegenheiten nach?«
    »Das Leben ist gepflastert damit«, sagte Stachelmann. »Aber hätten wir alle verpassten Gelegenheiten wahrgenommen, hätten wir verpasst, was wir erlebt haben.«
    Sie lachte, und er freute sich. Einige Augenblicke sagte keiner etwas. Er hörte sie atmen.
    Es klopfte an der Tür. Sie öffnete sich, ein Gesicht schaute herein. Darauf zeichnete sich ein Vorwurf ab, als es Stachelmann telefonieren sah. »Das Seminar hat angefangen, Herr Stachelmann«, sagte der Student.
    »Gleich«, erwiderte Stachelmann unfreundlich. Verstehe einer diese Studenten, früher hätten sie ihren Spaß gehabt, wenn ein Dozent sich verspätete.
    Er beendete das Telefonat, dann hängte er sich seine Aktentasche am Riemen über die Schulter und ging zum Seminarraum. Nun fiel ihm ein, er hatte die Seminar arbeit nicht gelesen, die gleich diskutiert werden sollte. Ihre Autorin war eine kleine Rothaarige mit stets verbissenem Gesichtsausdruck. Als er den Seminarraum betrat, erstarben alle Geräusche. Die vielleicht fünfzehn Studenten schauten ihn erwartungsvoll an. Wieder überraschte ihn das Strebertum. Er hatte andere Zeiten kennen gelernt. Zeiten des Aufruhrs, Zeiten der Langeweile, und nun war die Zeit des Strebertums.
    »Ich wurde heute Nacht von der Polizei geweckt.«
    Irgendjemand kicherte leise.
    Es störte Stachelmann. »Ein Bekannter von mir hat... ist tot. Ich musste mich den ganzen Tag damit beschäftigen. Deshalb konnte ich Ihre Arbeit« – er blickte zur Rothaarigen, die ihn mit den Augen anfeindete – »nicht lesen. Aber halten Sie Ihr Referat, ich werde das Schriftliche bis zum nächsten Mal benoten.«
    Sie schien widersprechen zu wollen, aber dann kramte sie in einem Papierstapel vor ihr, zog ein Blatt heraus und begann vorzulesen mit einer fast keifenden Stimme. Sie klang nach Rechthaberei und dem Trotz, in dem sich eine Kränkung spiegelt. Dabei war es nicht schlecht, was sie vortrug über Mittelbau-Dora, das Konzentrationslager, in dem die Nazis bis zuletzt Zwangsarbeiter an Wunderwaffen arbeiten ließen. Zunächst war Dora ein Außenlager von Buchenwald gewesen, dann wurde es ein eigenständiges KZ, in dessen Stollensystemen die Gefangenen unter unglaublichen Bedingungen zu überleben versuchten. Vernichtung durch Arbeit. Der berühmte Raketenpionier Wernher von Braun stolperte fast über die Leichen, die täglich gestapelt wurden, Opfer auch seines diabolischen Paktes mit den braunen Mördern, von denen er selbst einer wurde. Aber kurz bevor die Naziherrlichkeit vorbei war, im April 1945, lief er zu den Amerikanern über und tauschte seine Freiheit ein gegen Informationen über die Vergeltungswaffen. Er hätte in Nürnberg auf der Anklagebank sitzen müssen, noch vor einigen anderen, die dort abgeurteilt wurden.
    Die Russen machten es nicht besser. Als die Amerikaner ihnen Thüringen abtraten, da räumten die roten Besatzer die Reste der Raketenrüstung zusammen und verschleppten die Ingenieure, die geblieben waren, nach gemeinsam durchzechter Nacht in die Sowjetunion.
    Diese Geschichte ging Stachelmann durch den Kopf, während die Studentin referierte über die Häftlinge, die aus dem kurz darauf befreiten Auschwitz nach Dora verschleppt worden waren, um unterwegs oder am Zielort in Massen zu sterben. Durch Kälte, Hunger, Krankheit, Miss-handlung oder Hinrichtung. Warum, verdammt, musste ich mir das Konzentrationslager Buchenwald als Thema aussuchen für meine Habilitation? Das schlägt mir aufs Gemüt, kein Wunder, dass

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