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Schatten des Wahns: Stachelmanns dritter Fall (German Edition)

Schatten des Wahns: Stachelmanns dritter Fall (German Edition)

Titel: Schatten des Wahns: Stachelmanns dritter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian V Ditfurth
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keine Sorge, nich?« Er goss sich noch ein Glas voll, trank es in einem Zug aus, stand auf, schlug Stachelmann auf die Schulter und ging zur Wohnungstür. Sein Tritt war unsicher geworden. In der Tür drehte er sich um und sagte zu Stachelmann, der ihm gefolgt war: »Du musst nicht denken, dass ich Kumpels vergesse, ich nicht, nich?« Dann stieg er langsam die Treppe hinunter. Ein Stück weiter unten drehte er sich wieder um, formte noch einmal das O und steckte den Zeigefinger hinein. »Gute Idee! Das mach ich jetzt auch, nich? Ich sag nur Clemensstraße. Beim nächsten Mal kommste mit, nich?« Dann verschwand er, Stachelmann hörte, wie die Haustür zuschlug. Einen Augenblick drängte es ihn, sich unten zu vergewissern, ob Olaf wirklich gegangen war. Aber er zog die Wohnungstür zu und schloss sie ab. Jetzt sah er, dass seine Hände zitterten.
    Er ging in die Küche, nahm ein Glas und goss sich einen Weinbrand ein. Er nippte, schüttelte sich leicht, dann schüttete er den Schnaps runter. Er brannte in der Kehle, wieder schüttelte er sich, dann setzte er sich mit Ossis Akte im Wohnzimmer an den Schreibtisch und schlug sie auf. Die ersten Seiten kannte er. Es folgten Blätter aus einer Zeit vor seinem Studium in Heidelberg. Einladungen zu Treffen im CA, dem Collegium Academicum, einem selbst verwalteten Studentenwohnheim, in dem die linken Gruppen ihre Sitzungen abhielten. Auf dem Flur im ersten Stock stand ein Bierflaschenautomat, und jedes Mal, wenn er benutzt wurde, hallte es durch den Gang. Als Stachelmann mit dem Studium anfing, tauchte plötzlich Polizei in Massen auf und räumte das CA gegen den Protest von Studenten. Dann zog die Universitätsverwaltung ein. Er schloss die Augen und versuchte die Erinnerung zu schärfen. Es waren die Nachwehen der Studentenbewegung, die Absurdität des deutschen Herbstes und dann die Zeit der Lächerlichkeit, als die selbst ernannten Revolutionäre nichts begreifen wollten. Das Theater war vorbei, und die letzten Schauspieler wollten nicht von der Bühne herunter, so sehr liebten sie sich. Sie wurden weniger, aber sie schlugen weiter Schlachten um die Linie und für Ziele, die nicht mehr utopisch waren, sondern verrückt.
    Er blätterte weiter. Richtig! Dieser Mord, die Leiche, die in der Thingstätte gefunden worden war, in jenem steinernen Ausdruck nationalsozialistischen Germanenwahns. 1935 eingeweiht von Joseph Goebbels, dann fast vergessen, die Nazis besaßen modernere Formen der Massenpropaganda. Wie hieß der Tote? Er blätterte, da stand der Name: Lehmann. Ein Flugblatt beschimpft ihn als Verräter. Dann ein ausgerissener Zeitungsartikel aus dem Heidelberger Tageblatt: Fememord? Der Ort des Leichenfunds deute auf den Täterkreis hin. Das Opfer sei ein Linksextremist gewesen, der Polizei einschlägig bekannt. Es folgten weitere Blätter mit Berichten oder Stellungnahmen zum Mord. Er würde sie später genauer lesen. Stachelmann blätterte weiter bis zum Ende des Ordners. Ein kleiner Artikel aus der Rhein-Neckar-Zeitung. Die Polizei teilte mit, die Sonderkommission werde aufgelöst, nachdem alle Spuren und Hinweise nichts erbracht hätten. Der Mordfall Lehmann werde vielleicht nie aufgeklärt werden. Das Wort »nie« war unterstrichen mit blauem Kugelschreiber. Das Bekennerschreiben sei vermutlich Trittbrettfahrerei von Wichtigtuern oder Irreführung. Die Gruppe, die sich »Revolutionäre Garde« nenne, gebe es vermutlich gar nicht. Wer hatte das Wort »nie« unterstrichen? Ossi? Wenn ja, warum?
    Das Telefon klingelte, Stachelmann erschrak. Sofort fiel ihm Olaf ein. Er nahm ab.
    »Warum rufst du nicht zurück?«, fragte Anne.
    Er hatte es vergessen. »Olaf war hier.« Es war immerhin die halbe Wahrheit.
    »Wer?«
    »Der Irre aus dem Gefängnis.«
    Sie schwieg einen Augenblick. »Und?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Was weißt du nicht?«
    »Was er will. Er hat irgendwas angedeutet. Ich tippe, eine Gaunerei, für die er einen Komplizen sucht. Die berühmte todsichere Sache, nehme ich an.«
    Anne schnaufte. »Lass dich nicht auf irgendeinen Quatsch ein. Bist ja alt genug. Warum bist du nach Hause gefahren? Einfach was auf den Anrufbeantworter sprechen und verschwinden. Ganz die feine Art ist das nicht.«
    »Tut mir Leid.«
    »Das ist nicht so wichtig, ich kenn dich ja. Mich interessiert der Grund.«
    Er dachte an die Unruhe in ihrer Wohnung, an Felix' Geschrei und Getobe. »Ich habe Ossis Akte dabei, die muss ich in Ruhe lesen. Das ist mir wichtig. Da steckt auch was von mir

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