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Schatten des Wahns: Stachelmanns dritter Fall (German Edition)

Schatten des Wahns: Stachelmanns dritter Fall (German Edition)

Titel: Schatten des Wahns: Stachelmanns dritter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian V Ditfurth
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angegriffen worden war. »Polizeibüttel«, hatte einer gerufen.
    Ein anderes Foto zeigte eine Menschentraube vor der Neuen Universität, am Rand Polizeifahrzeuge, auch ein Wasserwerfer. Die Bildbeschreibung verriet, hier würden Mediävistikklausuren unter Polizeischutz geschrieben, nachdem es dem Lehrstuhl nicht gelungen war, die Prüfungsarbeiten am Germanistischen Seminar anzusetzen. Daran erinnerte sich Stachelmann gut, saß er doch später, nach der Niederlage des Boykotts, in einem dieser Seminare, in denen schriftliche Prüfungen verordnet worden waren, weil die Veranstaltungen überfüllt waren und die Lehrkräfte nicht mehr wussten, wie sie die Leistungen der Teilnehmer bewerten sollten. Der Boykott war spontan gewachsen, die Unzufriedenheit mit zum Teil absurden Verhältnissen am Germanistischen Seminar hatte lange geschwelt, dann brach die Wut durch. Die konnte man noch spüren, wenn einen nach der Niederlage die Prüfungsordnung zwang, Germanistik als Nebenfach zu studieren und Mediävistikklausuren zu schreiben, auch wenn einen eigentlich nur Geschichte interessierte.
    Dann ein Bild mit Polizeiwagen vor dem Palais Boisserée, Studenten des Germanistischen Seminars werden verhaftet. Verhaftungen, Verweise von der Universität, Gerichtsprozesse mit Geld- und Haftstrafen. Stachelmann hatte sich einige dieser Prozesse angeschaut, in denen Lehrkräfte einen nach dem anderen Studenten belasteten, denen sie im stillen Kämmerlein in der Sache Recht geben mussten. Eisige Kälte herrschte danach am Seminar, Stachelmann erinnerte sich an Lehrkräfte, die von Kollegen terrorisiert worden waren, weil sie einen Kompromiss gesucht hatten. Nächtliche Anrufe, der Hinweis auf berufliche Nachteile, Verdächtigungen. Die »Rote Universität« wurde tiefschwarz.
    Stachelmann erwischte sich, wie er in Erinnerungen versank und nicht weiter blätterte. Sentimentaler Idiot, rügte er sich. Er arbeitete sich zügig weiter voran, noch mehr Demos und Polizeiaktionen. Dann entdeckte er ein Foto mit einem verwaschenen Porträt, offenbar ein vergrößerter Ausschnitt aus einem anderen Bild. Das Gesicht kannte er, auf der Rückseite stand: »Joachim Lehmann, ermordet am 7. April auf der Thingstätte«. Ein besseres Foto hatten sie offenbar nicht gefunden, aber es zeigte genug. Ein fast hageres Jungengesicht, lange lockige Haare, vermutlich blond. Roger Daltrey in jung, Stachelmann grinste. Ein sanfter Blick aus ernsten Augen, aber das mochte täuschen, die Unschärfe verfremdete das Bild wie eine Weichzeichnerlinse. Er zog das Foto aus der Schachtel und legte es vor sich hin. Dann kam ihm eine Idee: Wenn er Lehmann auf anderen Fotos entdeckte und sich anschaute, wer sich in seiner Nähe aufhielt, dann hatte er vielleicht einen Anhaltspunkt, den bisher fehlenden Zipfel, an dem er ziehen musste, um sich überraschen zu lassen von dem, was er hervorzog aus der Vergangenheit. Nicht schlecht, Herr Doktor Stachelmann, nicht schlecht.
    Die Tür öffnete sich plötzlich, Stachelmann erschrak. »Wie lange brauchen Sie noch?«, fragte Frau Brettschneider. »Ich mache jetzt Mittag.«
    »Weiß nicht, aber wenn Sie vom Essen zurückkommen, werde ich immer noch hier sitzen.«
    Sie verzog ihr Gesicht, dann verließ sie wortlos das Zimmer. Staub wirbelte auf. Stachelmann musste niesen. Er putzte sich die Nase und fing von vorne an in der Schachtel. Schon beim zweiten Bild ärgerte er sich, keine Lupe mitgenommen zu haben. Ohne deren Hilfe würde er nicht weit kommen. Er verließ den Raum und stieg die Treppe hoch, bis er die Lokalredaktion erreichte. Er klopfte am Zimmer von Frau Brettschneider und öffnete die Tür. Frau Brettschneiders Kollegin hackte immer noch in rasender Geschwindigkeit auf die Tastatur ein. Ihr Blick blieb auf den Bildschirm gerichtet, als er eintrat.
    »Sagen Sie, haben Sie eine Lupe?«
    Sie schaute ihn an aus großen Augen, als hätte noch nie jemand sie angesprochen. Sie schüttelte den Kopf, dann sagte sie: »Ja.«
    »Ob Sie mir die Lupe leihen könnten?«
    »Ich weiß nicht«, sagte sie. Sie ziepte an ihrem Pferdeschwanz, der ihr auf die Brust gefallen war.
    Stachelmann hätte fast gelacht, er riss sich zusammen. »Sie kriegen sie bald wieder, keine Sorge. Soll ich ein Pfand hinterlegen?« Er griff zur Gesäßtasche, wo die Geldbörse steckte.
    Sie schaute sich ängstlich um, als ob noch jemand im Raum stünde. »Sie ist in der Schublade hier.« Sie deutete auf den Schreibtisch von Frau Brettschneider. »Ich glaube, Sie

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