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Schatten des Wahns: Stachelmanns dritter Fall (German Edition)

Schatten des Wahns: Stachelmanns dritter Fall (German Edition)

Titel: Schatten des Wahns: Stachelmanns dritter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian V Ditfurth
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messerscharfen Verstand und offenbar viel nachgedacht über ihr Leben.
    »Aber dann hat er seine Meinung geändert. Er fand diese Splittergruppen immer noch lächerlich, aber hat versucht, das Anliegen zu verstehen, das hinter der Maskerade stand. Einmal hat er gesagt, ich erinnere mich daran, als wäre es gestern: Die jungen Leute haben schon Recht. Wir sind die Generation von Hitler und Himmler, das muss man uns vorwerfen. Wir können uns nicht aussuchen, wer uns das vorwirft und wie er es tut. Die meisten von uns haben es nach Fünfundvierzig nicht geschafft, reinen Tisch zu machen. Sie sind rumgelaufen und haben gesagt, sie hätten nichts gewusst. Sie hätten aber nur zuhören müssen, sie hätten es wissen wollen müssen. Aber sie haben sich Ohropax in die Ohren gesteckt, manche sogar nachträglich, obwohl das nicht geht. Er hat ungeheuer gelitten, glauben Sie es mir.« Dann erschrak sie, sie zuckte leicht. »O Gott, ich rede Sie ja in Grund und Boden.«
    »Nein, nein«, sagte Stachelmann, »es interessiert mich, was Sie erzählen. Ich habe mit diesen Fragen ja auch zu tun.«
    Sie schaute zum großen Fenster. »Ich weiß es noch wie heute, wie Professoren und Studenten in Heidelberg dem Führer gehuldigt haben. Damals haben die Studenten auch rebelliert, gegen den bürgerlichen Anstand, sagte mein Mann. In den sechziger und siebziger Jahren taten manche Studenten so, als gäbe es keine Heimat mehr, in der Nazizeit haben sie das Vaterland über alles gehoben. Es sind, finde ich, beides Formen von Größenwahn, nur anders lackiert. Aber wenn Menschen meiner Generation so etwas sagen, dann werden sie schief angeguckt. Ihr habt es nötig.« Sie schaute zu seiner Tasse, er trank einen Schluck Tee. »Aber Sie sind ja nicht gekommen, um sich meine Litanei anzuhören. Tut mir Leid, aber ich treffe nur noch selten gebildete Menschen, mit denen man sich vernünftig unterhalten kann.«
    »Ich habe bei der RNZ einige Bilder gefunden aus der fraglichen Zeit. Ich hoffe aber, Sie haben noch mehr. Ihr Mann hatte bestimmt ein Archiv.«
    »O ja«, lachte sie. »Das hatte er. Und wenn er ein ordentlicher Mensch gewesen wäre, könnte man es auch benutzen. Ich habe den Raum ewig nicht betreten, jetzt dürfte es darin noch staubiger sein. Sie können gerne hineingehen und suchen. Vielleicht finden Sie ja etwas. Es sind aber meist nur Negative, auf denen erkennt man nicht allzu viel. Kommen Sie, ich zeige Ihnen das Verlies. Sie dürfen sich aber nachher nicht beschweren, ich sei schuld daran, dass Sie eine Staublunge bekommen hätten.«
    »Keine Sorge.« Stachelmann lachte. »Historiker sind wie Bergleute. Sie sterben an einer Staublunge und leben von Subventionen.«
    Sie kicherte leise wie ein junges Mädchen. Als sie vor ihm die Kellertreppe hinunterstieg, sah er, dass sie leicht hinkte. Sie führte ihn zu einer Tür aus grobem Holz, öffnete das Vorhängeschloss und zog die Tür auf, die schleifte über den Boden. Das Geräusch ging ihm durch Mark und Bein. Sie verschwand im Dunkel des Raumes, dann ging Licht an. Gegen das Licht sah Stachelmann den Staub, alles war bedeckt von ihm, der Tisch, der Stuhl davor, die Wandschränke, die Schachteln darin.
    »Warten Sie«, sagte Frau Schmelzer. Sie stieg die Treppe wieder hoch und kehrte zurück mit einem Staubsauger. Sie steckte den Stecker in eine Wandbuchse und fing an zu saugen. Stachelmann stand in der Tür und schaute zu. Sie arbeitete gründlich. »Eigentlich müsste ich noch feucht nachwischen, aber so ist es schon mal besser. Ich weiß nicht, wie mein Mann die Fotos geordnet hat, da hilft nur jede Schachtel aufmachen. Ach, ich sehe, Sie haben eine Lupe dabei, das ist hilfreich. Ich lasse Sie jetzt allein.«
    Stachelmann bedankte sich für das Vertrauen. Als sie gegangen war, öffnete er die erste Schachtel. Links oben anfangen, rechts unten aufhören. Es schien ihm, als warteten unendlich viele Pappschachteln darauf, geöffnet zu werden. In der ersten fand er Schwarzweißabzüge, vermutlich von einem Italienurlaub. Alte Modelle von Fiat und Lancia ließen ihn vermuten, es könnte sich um die Sechzigerjahre handeln. Es waren Landschaftsaufnahmen, vielleicht von der Adriaküste, außerdem hatte Gerhard Schmelzer eine Schwäche für italienische Frauen. Im schicken Kleid, im Freizeitdress, im Bikini. Szenen von Straßenpromenaden, Fotos aus einer Zeit, in der die Welt eindeutig war. Er rüffelte sich für den Zeitverlust, schloss die Schachtel und stellte sie zurück an ihren

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