Schatten des Wolfes - Schatten des Wolfes - Cry Wolf (Alpha & Omega 1)
langsam vorwärts, bis sie spürte, wo die Laken von seiner Körperwärme ebenfalls warm waren. Sie berührte ihn mit den Fingern, und ihr ganzer Körper erstarrte in Panik. Gut, dass er schlief und nicht sehen konnte, wie sie die Hand zurückzog und die Knie über den verwundbaren Bauch zog. Sie versuchte, nicht zu zittern, denn sie wollte ihn nicht wecken und sehen lassen, was für ein Feigling sie war.
Sie fragte sich, wieso Hoffnung so viel schwieriger war als Verzweiflung.
5
A nna ging methodisch die Schränke durch: Charles würde Hunger haben, wenn er aufwachte. Zum Glück hatte er Vorräte angelegt wie für eine Belagerung. Sie dachte an italienisch - sie konnte jetzt ziemlich gut italienisch kochen -, aber sie wusste nicht, ob Charles das mochte. Ein Fleischtopf schien eine sichere Wahl zu sein.
Die Tiefkühltruhe im Hochparterre war voll mit Fleisch, das fein säuberlich in weißes Einfrierpapier gewickelt und deutlich beschriftet war. Sie holte ein Päckchen heraus, das besagte, Wapitieintopf zu sein, und ließ es langsam auftauen. Sie hatte noch nie zuvor Wapiti gegessen, nahm aber an, dass Eintopffleisch gleich Eintopffleisch war.
Im Kühlschrank fand sie Möhren, Zwiebeln und Sellerie. Jetzt brauchte sie nur noch Kartoffeln. Sie waren nicht im Kühlschrank oder auf den Arbeitsplatten, und sie fand sie auch nicht auf dem Kühlschrank oder unter der Spüle.
Jeder, der so gut Vorräte anlegte wie Charles, musste irgendwo auch Kartoffeln haben - es sei denn, er hasste Kartoffeln. Sie stand vornübergebeugt, hatte den Kopf in einem der unteren Schränke, und sang leise »Wo, oh
wo sind meine kleinen Kartoffeln?«, als das Geräusch des Handys bewirkte, dass sie den Kopf hochriss und ihn sich an der Kante der Arbeitsplatte stieß.
Das Telefon war im Schlafzimmer, also rieb sie sich den Kopf und wartete, dass Charles an den Apparat ging, aber es klingelte immer weiter.
Sie zuckte im Geiste die Achseln und versuchte, die Kartoffeln zu riechen; Charles hatte ihr gesagt, dass sie die Nase nicht genug benutzte. Aber falls es hier Kartoffeln gab, wurde ihr Geruch von den Gewürzen und dem Obst in Charles’ Küche überlagert.
Das Telefon an der Wand fing an zu klingeln. Es war ein altmodisches Ding mit einer Drehscheibe und ein halbes Jahrhundert vor den Displays gebaut worden, die einem zeigten, wer anrief. Sie starrte es mit wachsender Frustration an. Das hier war nicht ihr Heim. Nachdem es zehnmal geklingelt hatte, nahm sie den Hörer endlich ab.
»Hallo?«
»Anna? Bitte hol Charles an den Apparat.« Die Stimme war deutlich zu erkennen: Bran.
Sie warf einen Blick zur geschlossenen Tür des Schlafzimmers und verzog das Gesicht. Wenn all dieser Lärm ihn nicht geweckt hatte, brauchte er den Schlaf wirklich. »Er schläft. Kann ich ihm etwas ausrichten?«
»Leider genügt das nicht. Bitte weck ihn auf, und sag ihm, dass ich ihn sprechen muss.«
Das »Bitte«, dachte sie, klang nur nach Höflichkeit. In Wahrheit handelte es sich um einen Befehl.
Also legte sie den Hörer hin und ging los, um Charles aufzuwecken. Bevor sie noch die Tür erreichte, öffnete sie sich. Er hatte Jeans und ein Sweatshirt angezogen.
»Ist das Dad?«, fragte er.
Als sie nickte, ging er an ihr vorbei und nahm den Hörer. »Was ist los?«
»Wir haben hier ein Problem«, hörte Anna Bran sagen. »Ich brauche dich hier... und warum bringst du nicht auch Anna mit? Sobald du kannst.«
Bran brauchte Charles. Charles war sein Scharfrichter, sein Attentäter. Er setzte wieder und wieder sein Leben für seinen Vater aufs Spiel, und sie würde sich einfach daran gewöhnen müssen.
Anna zog die Jacke an, als Charles den Hörer auflegte. Er ging ins Schlafzimmer und kam mit Socken und Stiefeln in der Hand zurück.
»Kannst du mir bitte mit den Stiefeln helfen?«, bat er. »Bücken ist immer noch ein Problem.«
Sie fuhr wie jemand, der nie zuvor über vereiste Straßen gefahren war. Vielleicht stimmte das ja auch. Aber sie war am Morgen besser gefahren, und er glaubte nicht, dass die Straßen schlimmer waren.
Offensichtlich gab es immer noch etwas, das ihr Schwierigkeiten machte. Er konnte ihre Nervosität riechen, wusste aber nicht, was er dagegen tun sollte.
Wenn seine Rippen in besserer Verfassung gewesen wären, hätte er sich selbst ans Lenkrad gesetzt, aber so gab er sich damit zufrieden, ihr die Richtung anzugeben. Als sie schließlich mit dem Truck in die Einfahrt seines Vaters schlitterte und er sich stärker an der
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