Schatten eines Gottes (German Edition)
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Im Gästehaus entledigten sich die Pilger ihrer Mäntel und Hüte. Darunter trugen sie Mönchsgewänder, jeder war in den Habit seines jeweiligen Ordens gekleidet. Lediglich ein jüngerer Mann trug weltliche Kleidung. Alle Gewänder waren aus gutem Tuch, und die Kreuze über ihren fromm gefalteten Händen funkelten vor Silber, Gold und edlen Steinen. Der Hagere mit dem weißen Haarkranz, der sie nach der beschwerlichen Wanderung gleich ins Refektorium führte, damit sich alle stärken konnten, war Abt Hermann von Altenberg selbst.
Es waren elf Männer, die gegen Mitternacht um einen runden Tisch im Kapitelsaal Platz nahmen. Dreizehn Stühle – die Zahl sollte an Jesus und seine zwölf Jünger erinnern – waren vorgesehen, zwei von ihnen frei geblieben. Offensichtlich waren noch nicht alle Teilnehmer eingetroffen.
Diese Pilger waren keine Pilger. Die Männer hatten sich dieser Verkleidung bedient, um unerkannt und ungestört ein drängendes Problem zu besprechen. Es waren auch keine einfachen Mönche. Die meisten waren adligen Geblüts; einflussreiche Ordensherren, deren Worte Widerhall von der irischen Küste bis zum Bosporus fanden. Ihre Zusammenkunft musste geheim bleiben, denn falls aus ihren Beratungen Maßnahmen erwuchsen, sollten ihre Urheber unerkannt bleiben. So wollte es Papst Innozenz, der sie zu nichts Geringerem aufgefordert hatte, als das christliche Abendland zu retten, das seiner Meinung nach in Gefahr war, womit er vor allem die Existenz der Kirche meinte. Vielleicht schaute die versammelte Schar ehrwürdiger und mächtiger Männer deshalb so sorgenvoll drein, als lasteten tausend Jahre Christentum allein auf ihren Schultern. Es herrschte eine angespannte Stille. Unter gesenkten Lidern funkelten verstohlene Blicke, und manch einer scharrte ungeduldig mit den Füßen.
Als sich die Tür zu dem Saal noch einmal öffnete, wandten sich alle Köpfe um. Zwei Mönche traten ein, die Hände gefaltet, die mit Kapuzen bedeckten Häupter bescheiden gesenkt. Sie trugen nur ein schlichtes Holzkreuz um den Hals, und ihre aus brauner Wolle gewebten Kutten waren mit einem Strick gegürtet. Die beiden Mönche kamen näher, und Abt Hermann wies ihnen die beiden frei gebliebenen Stühle zu. Ein Raunen ging durch die Versammlung. Die beiden Braunkutten schienen nicht in diesen Kreis zu passen. Unter den reich gekleideten Brüdern nahmen sie sich aus wie Graugänse unter Schwänen.
Abt Hermann stellte sie mit kurzen Worten vor. »Bruder Bernardo vom Orden der Franziskaner und Bruder Emanuel. Vielleicht haben noch nicht alle Anwesenden von diesem Orden gehört, er wurde erst kürzlich vom Heiligen Vater als Bettelorden in Erwägung gezogen. Ihr Gründer ist Franziskus von Assisi, daher der Name. Aber sie selbst nennen sich die minderen Brüder. Der Heilige Vater legte Wert darauf, dass sie sich bewähren, und mir schien unser Treffen ein willkommener Anlass zu sein, ihre Glaubensstärke und Treue zur Kirche zu beweisen. Dazu habe ich diese beiden Brüder ausgewählt. Und jetzt erteile ich dem Sprecher das Wort.«
Es erhob sich Roffredo de Insula, ein grauhaariger Benediktiner mit kurz geschnittenem Bart und klugen, dunklen Augen. Sie hatten den Abt des berühmten Klosters Monte Cassino zum Sprecher gewählt, wo Benedict von Nursia, der Gründer des Ordens, vor rund fünfhundert Jahren seine Regeln diktiert hatte. Doch bevor er das Wort ergreifen konnte, entstand Unruhe am Tisch. Die Franziskaner hatten gerade ihre Kapuzen abgestreift, als Abt Nathaniel, ein Mann mit klugen, scharf geschnittenen Zügen, einen verblüfften Laut ausstieß und sich beinah von seinem Sitz erhoben hätte.
Er war Grieche und stammte ursprünglich aus Kaisariani vom Hymettos bei Athen, einem angesehenen und reichen Kloster mit umfangreichen Ländereien. Aus unbekannten Gründen war er dort fortgegangen und leitete jetzt die Kartäuserabtei St. Marien im Bärengrund, einem abgelegenen und schwer zugänglichen Tal in der Eifel. Bruder Nathaniel, so hieß es, sei den weltlichen Reichtümern abhold. Er habe sich deshalb mit einigen Mönchen in der Wildnis niedergelassen. Seine außergewöhnliche Gelehrsamkeit war wohl der Grund, weshalb auch er zu dieser Versammlung gebeten worden war.
Alle Blicke wandten sich nun den beiden Franziskanern zu, die offensichtlich das Interesse des Kartäusers erregt hatten. Auch Roffredo nahm sie näher in Augenschein. Er meinte zu wissen, was Nathaniel irritiert hatte. Bruder Bernardos
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