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Schatten eines Gottes (German Edition)

Schatten eines Gottes (German Edition)

Titel: Schatten eines Gottes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Ahrens
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diese eine gute Sache geben.«
    Emanuel schwieg. Was sollte er auf Bernardos Begeisterung antworten? Er argumentierte in frommer Ekstase, nicht sachlich. Doch der letzte Satz war bei ihm hängen geblieben:
Sie würden ihr Leben für eine gute Sache geben.
Ihr Leben! Hunderte, ja vielleicht Tausende von Kindern würden auf so einem Kreuzzug zugrunde gehen. Selbst wenn jemand diesen wahnwitzigen Gedanken aufgriffe, käme nichts dabei heraus als ein großes Sterben und grauenvolles Scheitern. Das würde jeder vernünftig denkende Mensch erkennen. Aber – Emanuel schoss eine andere Idee durch den Kopf – wer sagte denn, dass fromme Taten vernünftig sein müssten? Nur gottwohlgefällig mussten sie sein und der Kirche nützlich. Der Kirche und natürlich den weltlichen Herrschern. Er dachte an unzählige Märtyrer und sah eine Welle von Sympathie und Glaubensinbrunst über den hoffnungsvollen Kinderscharen zusammenschlagen. Dieser groteske Kreuzzug könnte tatsächlich das nach sich ziehen, was Papst Innozenz so innig wünschte: einen allgemeinen Aufschrei der Christenheit, der in einem fünften Kreuzzug gipfelte. Und das Land wäre gleichzeitig von Bettlern und anderen Haderlumpen befreit, die sich, Beute witternd, dem Zug anschließen würden.
    Je mehr Emanuel darüber nachdachte, desto besser gefiel ihm die Sache. Aber sie musste ein Hirngespinst bleiben, denn dieser Kreuzzug war eben nur ein Wunschtraum, er war unmöglich auf die Beine zu stellen.
    »Die Vorstellung von einem Kreuzzug der Kinder ist begnadet«, erwiderte Emanuel vage. »Es lohnt, darüber nachzudenken. Wir sollten mit den Brüdern darüber sprechen, aber nicht heute.« Er nutzte die Gelegenheit und erhob sich, um der Nähe Bernardos zu entkommen.
    »Schlafen wir noch einige Nächte darüber. Und noch eins: Wir beide werden in einigen Tagen im Kloster Altenberg zu einem geheimen Treffen erwartet. Du musst Vorsorge für deine Vertretung treffen.«

Der Beschluss
    Das Zisterzienserkloster Altenberg war von einem dichten Wald umgeben. Bei seiner Gründung vor rund achtzig Jahren hatten die Mönche viel Wert auf Abgeschiedenheit gelegt, denn ihr Orden war ganz von dem Bemühen geprägt, uneingeschränkt und ohne Ablenkung Gott zu dienen. Nur Wildwechsel hatten anfangs zu ihnen geführt, die immer wieder zuwuchsen und nur Ortskundigen bekannt waren. Des Nachts hörte man die Wölfe heulen und Bären um das Gelände tappen. Doch im Laufe der Jahre konnten die tüchtigen Mönche ihre Zurückgezogenheit in dieser strengen Form nicht mehr aufrechterhalten. Der Ruf ihrer Gelehrsamkeit verbreitete sich bald im ganzen Land. Ihre illuminierten Handschriften und Buchmalereien waren berühmt und begehrt, und ihre Bibliothek umfasste einen großen Teil des bekannten Wissens, religiöse Schriften ebenso wie die Werke altgriechischer und römischer Autoren. Domherren und Grafen betrachteten es als eine Ehre, ihre Söhne zur Ausbildung nach Altenberg zu schicken, und viele traten in den Orden ein.
    Der anwachsende Strom der Besucher vertrug sich bald nicht mehr mit der ursprünglich angestrebten Abgeschlossenheit der Mönche. Sie waren gezwungen, die Wege zu verbreitern, ein größeres Hospiz zu errichten und Teile der waldigen Umgebung zu roden, um Ackerboden zu gewinnen. Aus diesem Grunde zeigte sich das romanische Bauwerk dem Besucher nicht so düster wie in früheren Zeiten. Von dichtem Baumbewuchs beschirmt, ließen doch die Freiflächen soviel Sonne herein, dass der Eindruck einer größeren Lichtung entstand.
    Es war im sonnigen Erntemonat September. Eine Gruppe von Männern mit langen Reisemänteln, festen Stiefeln und großen Hüten, an denen die Jakobsmuschel befestigt war, strebte auf das Kloster zu. Pilger, so schien es, die auf dem Heimweg von Santiago de Compostela waren, dem berühmten Wallfahrtsort des hl. Jakobus. Ihre breitkrempigen Hüte tief im Gesicht, zogen sie durch das offene Klostertor. Offensichtlich wurden sie bereits erwartet. Aus einer Seitenkapelle trat ein hagerer Mann im schwarz-weißen Habit der Zisterzienser und begrüßte die Männer. Die Art und Weise – dem einen legte er vertraulich die Hand auf die Schulter, mit dem anderen wechselte ein paar freundliche Worte – ließ darauf schließen, dass er etliche der Männer bereits kannte. Andere Mönche eilten herbei und geleiteten die Besucher in das Gästehaus. Nachdem der letzte Pilger eingetroffen war, schloss der Pförtner rasch das Tor, nicht ohne sich noch einmal nach allen

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