Schatten eines Gottes (German Edition)
dich nicht. Gott lebt!
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Die Brüder waren noch nicht zurück. Sie wollten auf dem alten Markt und dem Neumarkt von den Händlern und von den Fremden am Rheinhafen Spenden sammeln. Emanuel hockte missmutig in seiner winzigen Zelle bei einem ebenso winzigen Kerzenstummel und kratzte mit einer Gänsefeder über das mehrfach benutzte, brüchige Pergament, das vor ihm lag.
Ein gutes Jahr hauste Emanuel nun schon bei den minderen Brüdern in der Marzellengasse. Es war ein hartes Jahr gewesen, aber es hatte ihn gelehrt, was ein Mensch um eines Zieles willen imstande war auszuhalten. Mittlerweile hatte sich die Anzahl der Brüder verdoppelt, und das Haus war viel zu klein geworden. Man hatte, so gut es ging, für die Neuzugänge Platz geschaffen und noch enger aufeinander gehockt als vorher, aber nun war nichts mehr möglich. Sie mussten von weither angereiste Brüder abweisen und auf Konvente anderer Orden verteilen, was nicht zu deren Begeisterung beitrug. Bernardo hatte deswegen beim Bischof vorgesprochen, aber Dietrich von Hengebach, der Erzbischof von Köln, hatte nichts übrig für die Bettelorden, die sich seit Kurzem in der Stadt ausbreiteten und die er als Seuche zu bezeichnen pflegte, obwohl die Anzahl der Brüder noch sehr gering war.
Die Hälfte von ihnen war ungebildet, unwissend und einfältig. Dennoch hatte Emanuel es mithilfe der Übrigen geschafft, eine Struktur in ihren Tagesablauf zu bringen. Er hatte sie davon überzeugt, dass ein gutes Herz und der Wille zu helfen allein nichts bewirkten, wenn nicht eine straffe Organisation das Ganze unterstützte und beförderte. Er teilte den Brüdern unterschiedliche Aufgaben zu, lehrte sie, zu festgesetzten Stunden zu beten, und half ihnen bei der Ausformulierung ihrer Ordensregel, die der heilige Franziskus ihnen gegeben hatte.
Vor einigen Tagen hatte Emanuel von seinem Abt Hermann, der dem guten Abt Bruno nachgefolgt war, eine Aufforderung erhalten, sich am Tage zu St. Emmerich in sein Mutterkloster nach Altenberg zu begeben, um dort an einer Zusammenkunft teilzunehmen; worum es sich dabei handelte, verschwieg der Brief. Emanuel solle einen vertrauenswürdigen Bruder mitbringen und niemandem den Grund für diese Reise nennen. Von seiner Abberufung aus Köln jedoch, mit der er hoffnungsvoll gerechnet hatte, war keine Rede.
Emanuel war dabei, eine Antwort zu verfassen. Er saß an dem wurmstichigen Schreibtisch, den Kopf in die Hände gestützt, und hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Er musste hinaus aus dieser dumpfen Enge, sonst würde er ersticken. Aber was konnte er tun? Er war zum Gehorsam verpflichtet und letzten Endes auch zur Dankbarkeit. Das Kloster hatte ihm nicht nur Wissen vermittelt, es hatte ihm auch Geborgenheit geschenkt.
Vor der Kammer schlich einer der Brüder vorbei, aber er schaute nicht herein, weil jeder Mönch wusste, dass Emanuel beim Schreiben nicht gestört werden wollte. Emanuel griff seufzend erneut zur Feder. Er teilte dem Abt mit, dass er wie gewünscht eintreffen werde, und dass er gedächte, Bruder Bernardo, das Oberhaupt der kleinen Gemeinschaft, mitzubringen. Über die unerträglichen Zustände in der engen Abtei schrieb er nichts. Jetzt konnte er sein Anliegen persönlich vortragen und den Abt um Rat fragen.
Nach Fertigstellung las er das Geschriebene noch einmal durch, dann rollte er das Pergament zusammen und band eine Schnur darum. Immerhin war diese Reise eine Unterbrechung seines eintönigen Alltags. Er freute sich darauf, das Kloster Altenberg und die Brüder dort wiederzusehen.
Bevor er dazu kam, das Pergament zu siegeln, platzte Bruder Bernardo ohne anzuklopfen mit wehender Kutte herein, was sonst nicht seine Art war. Emanuel hätte vor Schreck beinahe das Tintenfass umgestoßen. Er rettete es mit einem schnellen Griff, dabei streifte sein weiter Ärmel die fast heruntergebrannte Kerze und löschte sie aus, sodass der Raum in völlige Finsternis gehüllt war. Emanuel konnte gerade noch einen Fluch unterdrücken, statt dessen murmelte er ein halblautes »Gelobt sei der Herr!«, was kaum zu der Situation passte, aber das fiel niemandem auf.
»Bruder Bernardo! Was gibt es denn? Brennt das Haus?«
Bernardo schien die Dunkelheit nichts auszumachen. »Das Haus, Bruder Emanuel? Ich selbst stehe in Flammen, das himmlische Feuer ist auf mich herabgefallen, es hat mich erleuchtet, damit bald der gesamte Erdkreis entflamme.«
Hatte der Bruder zu tief in den Becher geschaut? Er war sonst doch ein
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