Schatten eines Gottes (German Edition)
nicht geglückt ist. Ihre unverdorbene Frömmigkeit allein kann die Hoffnungslosen aufrichten, die vergifteten Seelen heilen. Ihr wisst, dass alle bisherigen Anstrengungen der Kirche vergeblich waren. Daran solltet ihr denken, Brüder, bevor ihr meinen Vorschlag verwerft.«
Diesmal gab es keinen Aufruhr der Gefühle, die Brüder tauschten flüsternd ihre Meinungen aus, bis Roffredo als ihr Sprecher sich wieder an Emanuel wandte: »Unschuldige Kinder rühren keine wilden Sarazenen. Sie werden dort als Sklaven gehandelt.«
»Nicht die Sarazenen, die Christenheit sollen sie anrühren, wenn sie erfüllt vom rechten Glauben im Zeichen des Kreuzes vorwärtsschreiten.«
»Nach Jerusalem?«
»Ja, nach Jerusalem. Es muss einen Kreuzzug der Kinder geben. Bewaffnet nur mit ihrem Glauben, beseelt von ihren Hoffnungen, ihren Sehnsüchten, ihrem Verlangen nach dem himmlischen Jerusalem, wo alles Leid ein Ende hat. Das Heilige Land zu befreien, dieses Werk kann nur einem Kind gelingen, da es frei von den Sünden und Begierden Erwachsener ist.«
»Aber das ist verrückt!«, warf Heinrich von Kronberg, der Abt aus Fulda ein. Ein vernünftiger Mann, der den Glauben noch nicht an den Zynismus abgetreten hatte. »Unmündige Kinder sollen nach Jerusalem pilgern? Sie werden nie ankommen. Die Hälfte von ihnen wird unterwegs sterben.«
Bruder Emanuel versagte sich einen Stoßseufzer angesichts dieses erwarteten Arguments. Milde entgegnete er: »Wozu sollen sie ankommen? Es genügt, dass sie aufbrechen. Sie sollen nur die Fackel entzünden, weitertragen werden sie andere.«
»Und die Gefahren, denen sie ausgesetzt sind?«
»Über die Unschuldigen wacht der himmlische Vater. Und welche er früh zu sich nimmt, die gehen ohne Umweg ein ins Paradies.«
»Werden die Kinder sich denn zu diesem Kreuzzug bewegen lassen?«
»Wir werden sie überzeugen, Bruder.«
»Wir?«
»Die Zisterzienser und der junge Orden der Franziskaner. Vorausgesetzt, wir haben euren Segen und den des Heiligen Vaters.«
»Ihr seid noch kein Orden«, warf Arnaud Amaury genüsslich ein.
»Ein vorläufiger Orden, der noch der Prüfung und endgültigen Zustimmung des Heiligen Vaters bedarf, in der Tat. Deshalb weilt der verehrte Lehrer Francesco augenblicklich in Rom, um eben diese zu erbitten. Und wir sind sehr zuversichtlich, dass er Erfolg haben wird.«
»Aber zu einem so riskanten Unternehmen, wie es ein Kinderkreuzzug darstellt, wird Innozenz die Zustimmung verweigern«, gab Roffredo zu bedenken.
Die Augen des jungen Mönches flammten auf, aus Begeisterung oder vor Zorn über den Einwand, war nicht klar. »Der Heilige Vater hat das nicht zu bestimmen. Es ist jedem guten Christenmenschen selbst überlassen, ob er das Kreuz nehmen will.«
»Es wäre aber in unser aller Interesse, davon abzuraten, wenn der Heilige Vater es nicht billigt. Ohne seinen ausdrücklichen Segen dürfte dem Vorhaben kein Erfolg beschieden sein«, wandte der Abt aus Fulda ein.
»Dann brechen sie eben allein mit Gottes Segen auf!«, ging Emanuel mit unchristlicher Lautstärke dagegen an, und er hätte wohl noch weiter gepredigt, doch eine kurze Handbewegung von Abt Hermann ließ ihn verstummen. Es war ihrer Sache nicht förderlich, die Meinung des Heiligen Vaters für bedeutungslos zu halten.
»Sollten wir den Vorschlag des Bruders Emanuel in Erwägung ziehen«, ergriff Roffredo wieder das Wort, »so dürfte uns allen klar sein, dass der Papst nicht öffentlich zu diesem Unternehmen Stellung nehmen kann. Dazu ist es zu gewagt und nicht nur für die Kinder gefährlich. Allenfalls könnte er es hinter vorgehaltener Hand billigen. Und natürlich müsste er sich im Falle des Scheiterns davon distanzieren.«
Seine Blicke kreisten in der erlauchten Runde, um Zustimmung oder Ablehnung einzuschätzen. »Wir müssten die Verantwortung für diesen – äh – Kinderkreuzzug allein tragen und eventuell auch die Konsequenzen.«
Der Kartäuser Nathaniel hatte sehr lange geschwiegen. Jetzt spielte ein feines, nicht zu deutendes Lächeln um seine Lippen. War er vielleicht nur amüsiert? Bevor er sich äußerte, verständigten sich seine Blicke flüchtig mit denen des Templers. »Ich halte den Vorschlag unseres jungen Bruders für bedenkenswert. Eine inbrünstige Kinderschar kann viele müde Krieger erwecken. Allerdings müsste das Vorhaben sehr gut geplant werden. Auf unsereinen darf auch nicht der Schatten einer Mittäterschaft fallen, niemand darf den Verdacht äußern, wir stünden hinter
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