Schatten eines Gottes (German Edition)
dieser Sache. Wenn es einen solchen Kreuzzug geben sollte, dann pilgern die Kinder aus eigenem Wunsch und innerer Überzeugung, weil sie Gottes Stimme und niemand anderen gehört haben.«
Danach richtete er seine grauen Augen auf Emanuel. »Ihr sagtet, die Franziskaner werden die Kinder überzeugen? Wie soll das gehen?«
»Dazu bedarf es nur aufrichtiger Frömmigkeit und eines für den Glauben brennenden Herzens«, übernahm Bruder Bernardo demütig die Antwort, doch in seiner Stimme lag eine Schärfe, die weder Zweifel an seiner Überzeugung noch Widerspruch zuließ.
Arnaud Amaury war der Blickkontakt Nathaniels zu dem Templer aufgefallen. Und plötzlich schien sich bei ihm eine Wandlung vollzogen zu haben. Offensichtlich hatte er hinter dem auf den ersten Blick unsinnigen Vorschlag seinen perfiden Nutzen erkannt. Breit lächelnd schloss er sich der Meinung der Franziskaner an.
Äußerst sparsam erwiderte Emanuel dieses Lächeln. Hundertfach geübte Selbstbeherrschung, tausendfach gespielte Demut verhinderten ein triumphales Leuchten seiner Augen. Nathaniel, Arnaud und vielleicht auch der Templer, so glaubte er, waren in diesem Augenblick die Einzigen in dem Raum, die etwas begriffen hatten, und die anderen würden auch bald die wahre Absicht eines Kinderkreuzzuges verstehen. Nur der einfältige Bruder Bernardo, der die Fahne vorantrug, erkannte sie nicht.
***
Nach dem Morgengebet am nächsten Tag hatten die Brüder zwanglos die Gelegenheit, sich im Kreuzgang, in der Bibliothek oder im Klostergarten über das Gesprochene auszutauschen. Während Bruder Bernardo mit dem Abt aus Fulda auf dem Kreuzgang in eine heftige Diskussion geraten war, schlug Emanuel eine andere Richtung ein. Gehüllt in seine Kutte, den Blick zu Boden gerichtet, die Arme in den weiten Ärmeln verborgen, schritt er, in sich geschlossen wie eine Muschel, getreu dem Spruch: ›Jeder Mönch seine eigene Klause‹ den Gang hinunter.
Auf den ersten Blick hatte er die Idee eines Kinderkreuzzuges wie jedermann für Narretei gehalten und Bruder Bernardo für einen frommen Tagträumer. Doch dann hatte er sich die Geschichte noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Und plötzlich waren die Eingebungen herabgepurzelt wie reife Äpfel. Sein Gehirn begann schon an einem Grundriss zu arbeiten, bevor er von der Sache ganz überzeugt war. Vor seinem inneren Auge vermaß er die kürzeste und bequemste Reiseroute, überlegte, an welchen Städten sie vorbeimussten, führte gedanklich die Herbergen und Hospize auf, die die Kinder unterwegs beköstigen konnten. Er überlegte, welche Klöster für das Vorhaben gewonnen werden, wo er mit Unterstützung rechnen konnte. Ortskundige müssten den Kindern den Weg weisen, sie unterwegs mit Gebeten aufrichten und trösten, damit sie durchhielten. Ja, es bedurfte eines genau ausgearbeiteten Plans. Die Kinder konnten unmöglich in ungeordneten Haufen losziehen, sie würden nicht einmal bis Mainz gelangen und den Zorn der Bevölkerung entfachen, wenn sie überall herumwuselten, die Äcker zertrampelten und Hühner stahlen.
Kurz vor ihrer Abreise nach Altenberg hatte Emanuel die Sache mit Bernardo besprochen. Sie waren sich einig, dass das Treffen ein Wink Gottes war. Wenn sie dort die notwendige Unterstützung erhielten, konnten sie sich ans Werk machen. Emanuel wollte die Organisation gestalten und Kontakte zu anderen Orden knüpfen, während Bernardo sich um die Stimme Gottes kümmern würde. So hatten sie es abgesprochen und wollten die Idee auf der Versammlung vortragen. Dort war sie nicht abgelehnt worden. Man würde sie nicht gerade unterstützen, aber sie wohlwollend betrachten. Mit mehr hatte Emanuel nicht gerechnet. Er selbst versprach sich von diesem Unternehmen die Dankbarkeit der Kirche und die Aufmerksamkeit Roms. Es war unwichtig, ob die Kinder ankamen oder scheiterten, es ging um die große Geste. Sie würde die Menschen nicht unberührt lassen.
Kurz bevor er in eine Seitentür treten wollte, berührte ihn jemand an der Schulter. »Verzeiht Bruder, würdet Ihr uns wohl ein wenig von Eurer Zeit schenken? Natürlich nur, wenn Euch nicht wichtigere Geschäfte abhalten.«
Emanuel erkannte den Kartäuserabt Nathaniel, neben ihm den Templer und jenen jungen Mann, der den empörten Zwischenruf gewagt hatte. Wenn ihm diese Störung missfiel, zeigte er es nicht. »Ich bin Euch jederzeit gern zu Diensten, ehrwürdiger Abt.«
Sie setzten gemeinsam den Weg fort. »Etienne ist ein Freund aus alten Tagen«, stellte
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