Schatten Gottes auf Erden (German Edition)
zusammenführen wollte.
Wenn sich ein Dichter fände, der ihre Liebesgeschichte in so schöne Verse bringen wollte, wie Schota Rustaweli die Tariels und Nestan-Daredshans oder Meister Gottfried von Straßburg die Tristans und Isoldes, würden István und Nino als Liebespaar wohl nicht weniger berühmt werden, als jene es sind. Mir aber ist diese herrliche Kunst leider versagt, und ich kann nichts anderes tun, als mit dürren Worten ihren Lebensweg zu verfolgen, damit, wenn die Welt auch nichts von ihnen erfährt, doch wenigstens ihre Nachkommen ihn kennenlernen.
Sprechen konnten die beiden zu der Zeit noch nicht miteinander, denn weder verstand mein Vater Georgisch noch meine Mutter Ungarisch oder Türkisch. Aber mein Vater holte aus der Küche reichliche Mengen gekochter Speisen in seinen Keller hinunter, die er, wenn alles schlief, seiner Taube in den Käfig trug (wie er es bei sich nannte). Und allmählich verlor meine Mutter die Angst vor ihm. Doch wenn er ihr die Speisen durch die Maueröffnung gereicht hatte, rührte sie nichts an, ehe er das Kreuzeszeichen darüber gemacht hatte, wie zur Besiegelung eines stillschweigenden Gelübdes, dass er ihr nichts zuleide tun wolle.
Wenn sie dann gegessen hatte, entfernte er sich wieder. Nie drang er in ihr Versteck ein. Nicht, dass er kein Verlangen nach ihr verspürt hätte. Aber da sie ihm so schutzlos ausgeliefert war, siegte seine Ritterlichkeit über sein Begehren.
Verabschieden konnte er sich nicht von ihr. Plötzlich, eines Tages, wurde zum Aufbruch geblasen. Wieder wurden ihm Ketten angelegt, wieder ihm unmenschliche Strapazen und Leiden aufgebürdet, denen er kraft seines unbändigen Lebenswillens widerstand. Endlich war alle Mühsal des Weges überstanden: Die Gebirge überstiegen, die Ströme überquert, die Wüsten durchschritten – und plötzlich sah er die azurnen Kuppeln von Moscheen und Medresen aufragen, die vor ihm noch niemals ein Ungar erblickt hatte, Kuppeln, die mit der Bläue des sich im hohen Bogen über ihnen hinschwingenden Himmelsgewölbes wetteiferten! Da meinte er, es müsse eine Délibáb sein, wie er sie einst auf seinem Ritt durch die ungarische Puszta vor Augen gehabt hatte. Aber nein, keine Täuschung, kein Trugbild: Bauten von Menschenhand, aus Ziegeln errichtet, mit glasierten Kacheln verziert, Türme, so schlank und hoch, wie kein Gewächs der Erde sie überragen, Mauern, so breit und fest, wie kein Feind sie zu stürmen vermöchte: Samarkand war es, die Hauptstadt Timurs, den seine Feinde den Lahmen nannten. Doch seine Heerscharen, die ihm zujubelten und jedem Wink seiner Augen gehorchten, die er von Sieg zu Sieg geführt und mit Beute über Beute beladen hatte, sagten, einen mächtigeren Herrscher als ihn habe es seit den Zeiten des Dschingis nicht mehr gegeben. Seine Zeichen waren Löwe und Sonne. Man nannte ihn den Schatten Gottes auf Erden. Mein Vater war ein Nichts in seiner Hand.
Von all den Janitscharen, die mit meinem Vater zusammen in die Hand des Tataren geraten waren und die Sänften der gefangenen Frauen immer tiefer ins Feindesland hineingetragen hatten, erreichte mein Vater als Einziger diese Stadt, die ihre Bewohner »die Pforte des Paradieses« nannten.
Auf dem Sklavenmarkt verkauft zu werden blieb meinem Vater erspart. Verbietet es doch der Koran, dass die Moslems ihre Kriegsgefangenen versklaven, sofern sie ihre Glaubensbrüder sind, und als einen solchen sahen die Tataren ihn an. Nur die aus Georgien und Armenien mitgeschleppten Christen erlitten diese Behandlung, und ihrer waren nicht wenige. Denn Timur konnte für seine Stadt nicht genug Handwerker bekommen, deren fleißige und geschickte Hände sich regen mussten, um die Pracht seiner Bauten und den Glanz seines Hofes zu erhöhen. Und wo hätte er Kunstfertigere finden können als in diesen christlichen Ländern?
Das Los meines Vaters war aber auch nicht viel besser als das jener Unglücklichen. Er kam in den Pferdestall und musste dort die niedrigsten Dienste verrichten.
Nun hatte sich mein Vater von Kindesbeinen an am liebsten auf Pferderücken getummelt, war auch oft genug dem alten Nonu zur Hand gegangen, einem Hörigen seines Vaters, der sich wie kein Zweiter auf Heilkräuter und Pferdekuren verstand, und hatte ihm so manchen Kunstgriff abgesehen. Bald sprach es sich herum, dass der Knecht Kükülli eine gute Hand hatte beim Warten der Pferde, und er wurde gerufen, wenn eine Stute sich schwer tat beim Abfohlen oder sich ein Renner am Huf verletzt
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