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Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Titel: Schatten Gottes auf Erden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Hering
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hatte, und stets war er mit Rat und Tat zur Hand.
    Gefesselt wurde er nicht mehr. Sein Entkommen war nicht zu befürchten. Die riesigen unwegsamen Wüsten, die das fruchtbare Land umgeben, hätte ein Einzelner unmöglich passieren können.
    Er fand sich ab mit seinem Los. Er bekam satt zu essen, wusste, wo er sein Nachtlager aufschlagen konnte: sommers auf dem flachen Dach des Stalles, wo es luftiger und kühler war als in den stickigen geschlossenen Räumen, und als es Herbst wurde und Regenschauer aufs Land niedergingen, im Stall bei den Tieren. Dort war es auch im Winter erträglich warm, man musste sich nicht in Pelze hüllen und um ein Kohlenbecken scharen, wie es die Herrschaften in ihren Häusern taten.
    Es war aber noch kein halbes Jahr vergangen, seit mein Vater seinen Fuß auf den lehmigen Boden jener Stadt gesetzt hatte, als Umstände eintraten, die sein Leben von Grund auf änderten.
    Eines Tages wurde Timurs Leibross krank. Der Unermüdliche rüstete gerade zu einem neuen Feldzug. Die Länder des Westens und Südens lagen ihm schon zu Füßen: Bis nach Damaskus hatte ihn sein Siegeszug geführt, bis nach Delhi, und im Norden bis Moskau und Nishnij-Nowgorod. Persien und Anatolien, Syrien und Indien, Armenien und Georgien hatten sich ihm gebeugt, und nur das Meer hatte seinen Rossen ein weiteres Vorwärtsdringen versperrt. Im Osten aber stand kein Meer im Wege, und die Wüsten und Gebirge, die zu überqueren waren, schreckten seine im Ertragen unmenschlicher Strapazen gewöhnten Krieger nicht. Ihm jedoch schien diese Erde zu klein zu sein, als dass sie zwei Herrscher hätte tragen können. Gibt es doch auch im Himmel nur einen einzigen Gott! Also beschloss er, das »himmlische Blumenreich der Mitte« seinem Herrschaftsbereich einzuverleiben, damit er sich zu Recht Dschihangar nennen könne, Eroberer der Welt.
    Schon hatte er die Abgesandten des Kaisers von China seine Ungunst spüren lassen, indem er ihnen den Ritter von Clavijo vorzog, der mit einer Huldigung des Königs von Kastilien in Samarkand erschienen war. Und als gar der »Sohn des Himmels« ihn daran erinnern ließ, dass seine Tribute in letzter Zeit ausgeblieben seien (wie, wagte dieser ungläubige Hund, von Geschenken, die ihm Timur großmütig als Beweise der Freundschaft zugeschickt hatte, als von Tributen zu sprechen?), da kannten seine Empörung und sein Ungestüm keine Grenzen. Selbst der strenge Winter, der mit eisigen Stürmen über das Land herfiel, hielt ihn nicht davon ab, den Aufbruch zu befehlen. »Wenn die Flüsse zugefroren sind, kann man sie leichter überqueren«, sagte er denen, die zum Aufschub rieten.
    Da wurde, wie ich schon sagte, sein Leibross krank. Es schob die Hinterbeine unter sich, streckte die Vorderbeine weit vor und litt allem Anschein nach große Schmerzen. Das war ein böses Vorzeichen. Timurs Ratgeber wagten zwar nicht, Befürchtungen laut werden zu lassen, aber ihre Mienen waren beredt genug. Und seine Frauen schlichen mit verweinten Augen einher.
    Mein Vater erschrak nicht schlecht, als Timur ihn zu sich befahl. Noch niemals hatte er den Gewaltigen aus der Nähe gesehen, und er trug auch nicht das geringste Verlangen danach, denn Tod und Leben hingen an einem Wink seiner Hand.
    »Kükülli«, sagte Timur, »ich höre, du verstehst dich auf Pferde. Ich vertraue dir meinen Hengst an. Wenn du ihn gesund machst, sollst du mein Stallmeister werden. Stirbt er aber …« Er sprach den Satz nicht zu Ende, und das war auch nicht notwendig, da jedermann verstand, was angedeutet war, und mein Vater am besten.
    »Wir stehen in Allahs Hand«, antwortete er, »dein Hengst wie dein Knecht« – und er neigte sich und küsste den Saum des weiten goldgestickten Gewandes.
    Im Stall machte er dem Tier sofort einen Aderlass, gab ihm ein Abführmittel, packte die kranken Hufe in einen Umschlag von kühlem Lehmbrei, den er jede Stunde erneuerte. Er tat die Nacht kein Auge zu, und erst, als das Tier am Morgen die Vorderfüße vorsichtig wieder auf den Boden stellte und von dem Hafer nahm, den er ihm vorsetzte, erlaubte er sich einen kurzen Schlummer.
    Nach drei Tagen war der Hengst gesund, und mein Vater erhielt die Oberaufsicht über sämtliche Stallungen mit allen zurückbleibenden Tieren: Den tragenden Stuten, den Fohlen, den Zuchthengsten, er erhielt aber auch, entsprechend dieser hohen Stellung, ein eigenes Haus mit allem dazugehörenden Hausrat und eine Summe Geldes, sich Sklaven auf dem Markt zu kaufen.
    Ehe er dieses

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