Schatten Gottes auf Erden (German Edition)
ebenso getreu und wahrheitsgemäß verzeichnet sein sollen, wie ich mit meinen Taten und Unterlassungen zu Gericht gehn und meine Gedanken und Urteile über Menschen und Ereignisse festhalten will, weil ich hoffe, ihm damit etwas von dem abstatten zu können, was ich ihm schuldig geblieben bin.
Erster Teil
Die ersten Bilder, die sich mir in der Kindheit eingeprägt haben, stammen aus Samarkand. Es ist ein weiter Weg von dem Gutshof der Kövárys, der zwischen den beiden Kokeln in dem schönen Lande Siebenbürgen gelegen ist, bis zu dieser Stadt, deren Namen in Ungarn kaum jemand kennt – ein weiter, heißer und gefährlicher Weg, und mein Vater ist ihn nicht freiwillig gegangen. Aus eigenem Willen freilich und sehr gegen den seines Vaters eilte er den Fahnen des Königs Sigismund zu, als dieser ein Kreuzfahrerheer gegen die Türken ins Feld führte, denn der alte Köváry war der Meinung, der ungarische Adel sei dem König nicht dienstpflichtig, wenn außerhalb des Vaterlandes gefochten werde, und das Leben seines einzigen Sohnes zu schade, um für ein königliches Abenteuer aufs Spiel gesetzt zu werden.
Das aber war die Ansicht meines Vaters nicht. Hatte nicht der Türke Serbien, Bulgarien und Mazedonien erobert? Sollte man warten, bis er die Donau überschritt und seinen Halbmond auf der Ofener Burg aufpflanzte?
Siebzehn Jahre alt war mein Vater damals, kräftig, ein Draufgänger, in allen Pferdesätteln zu Hause. Mit einigen Burschen, die ihm an Verwegenheit nicht nachstanden, Hörigen seines Vaters, die mitzunehmen er sich berechtigt fühlte, machte er sich bei Nacht und Nebel auf den Weg und traf in der Königsburg ein, gerade als Sigismund seine Scharen beisammen hatte.
Ich weiß nicht, wodurch mein Vater die Aufmerksamkeit des Königs auf sich lenkte: durch die gute Figur, die er zu Pferde machte, durch seine Gewandtheit im Fechten oder durch eine der schlagfertigen Antworten, wie er sie auf jede Frage zu geben wusste – genug, es dauerte nicht lange, da reihte Sigismund ihn in seine Leibgarde ein.
Und mein Vater war es dann auch, der ihm in der unglücklichen Schlacht bei Nikopolis das Leben rettete. Denn als der König sich schon zur Flucht gewandt hatte und einer der türkischen Reiter die Verfolgung aufnehmen wollte, preschte er vor und versperrte mit seinem Pferd dem Türken den Weg. So geriet er in Gefangenschaft, aber der König entkam.
Das war die erste Etappe meines Vaters auf seinem Wege nach Samarkand. Vielleicht die Gefährlichste. Denn Bajazids Wut über die Verluste, die das christliche Heer dem seinen zugefügt hatte, war so groß, dass er befahl, am nächsten Morgen alle überlebenden Feinde vor ihn zu bringen. Und jeder Mann aus dem türkischen Heer, der Gefangene gemacht hatte, musste sie fesseln und vorführen und ihnen vor den Augen des Sultans den Kopf abschlagen.
So wurde auch mein Vater, zusammen mit drei anderen, an Stricken zum Hinrichtungsplatz geführt. Doch als die Reihe an ihn kam, hob er wie in einer Trotzgebärde den Kopf und sah den Sultan an. Da machte der eine Handbewegung, und der Akindschi, der den Säbel schon aus der Scheide gezogen hatte, steckte ihn zurück: Bajazid ließ keinen töten, der noch nicht zwanzig Jahre alt war, und mein Vater war erst siebzehn – das stand ihm im Gesicht geschrieben.
Man brachte die wenigen christlichen Gefangenen, die dem furchtbaren Blutbad entronnen waren, in die Stadt Gallipoli, warf sie in einen Turm und hielt sie dort zwei Monate in Gewahrsam. Dann lud man sie auf ein Schiff, schaffte sie nach Anatolien und reihte sie dem türkischen Heere ein. So wurde aus Köváry István der Janitschare Kükülli.
Er lernte das Türkische schnell. Und auch das, was man sonst von ihm verlangte, fiel ihm nicht allzu schwer. Seine Kameraden zeigten ihm, wie er sich bei den täglichen Gebetsübungen zu verhalten hatte: wann er die Arme heben, wann er sich verbeugen, wann sich zu Boden werfen musste. Erst machte er ihnen alles blindlings nach, wenn sie sich zum Gebet wie in einer Schlachtordnung aufgestellt hatten, dann aber gingen ihm die mit militärischer Genauigkeit ausgeführten Bewegungen so in Fleisch und Blut über, dass er sich selbst im Traum darin ganz sicher fühlte. Sogar die Worte, die der Vorbeter halb singend sprach und die man ebenso zu wiederholen hatte, wurden ihm vertraut, obwohl er sie nicht verstand (denn arabisch muss ja der Koran rezitiert werden!), aber hatte er je den Sinn der lateinischen Worte verstanden, wenn in
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