Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Titel: Schatten Gottes auf Erden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Hering
Vom Netzwerk:
Geschäft jedoch in Angriff nehmen konnte, wurde ihm aus dem Harem des Herrschers ein Mädchen ins Haus gebracht.
    Der Diener, der es begleitete und den er erstaunt und fragend ansah, sagte: »Unsere Herrin Tökel schickt dir hier ihre Magd als Zeichen ihrer Gunst. Du hast ihres Gatten Leibpferd gesund gemacht und damit die Sorge ihres Herzens vertrieben – nun wird auch unser Herr gesund und siegreich von seinem Feldzug heimkehren.« Als mein Vater das vernahm, wusste er, dass er sich eine mächtige Fürsprecherin erworben hatte, denn wer vermochte so viel über Timur, den Lahmen, wie diese seine jüngste Gattin? Eine Chanstochter war sie, die er im Alter von dreiundsechzig Jahren geheiratet hatte, und schön sollte sie sein, aber auch stolz, sehr stolz auf ihre Herkunft aus dem Geschlechte des großen Dschingis, und wenn Timur auch schon durch eine andere Chanstochter, durch Saraj Chanum, Schwiegersohn eines Chans geworden war und sich diesen Titel – Kurakhan – auch schon längst beigelegt hatte, so maß er doch der Abstammung auch seiner jüngsten Gattin großes Gewicht zu und bevorzugte Tökel sichtlich vor allen andern. Wem sie gnädig war, dem lachte die Sonne seines Hofes. Wem sie übelwollte, dem mochte Gott gnädig sein. An alles, was man ihm von Tökel jemals erzählt hatte, musste mein Vater denken, und die Vorstellung, dass er plötzlich, fast ohne sein Zutun, aus dem tiefsten Schatten des Daseins in ein so grelles Licht emporgehoben worden war, beängstigte ihn fast. Erst als der Diener, der noch eine Weile geschwätzt und allerlei Neuigkeiten der Hinterhöfe an den Mann gebracht hatte, weggegangen war, kam es ihm in den Sinn, dass es ja wohl an der Zeit sei, sich nach dem weiblichen Wesen umzusehen, das ihm nun mit Leib und Leben gehören solle.
    Mein Vater war, seit er Georgien verlassen hatte, mit keiner Frau je wieder in Berührung gekommen. Wie wäre das auch möglich gewesen in einem Lande, wo Mädchen wie Frauen von allen nicht zur Familie gehörenden Männern gesondert gehalten werden und das Innere ihrer Höfe kaum jemals verlassen? Sollten sie sich dennoch einmal auf der Straße zeigen – welchem Gläubigen würde es einfallen, sie auch nur mit zudringlichen Blicken zu streifen? Ist es nicht im höchsten Grade unsittlich, eine Frau, die einem nicht gehört, anzusehn, selbst dann, wenn sie mit einem spricht? Nun aber stand eine da, die kein anderer ansehn durfte als er allein. Und nicht nur ansehn, nicht nur berühren durfte er sie, nein, ganz und gar in seine Gewalt war sie gegeben, ihr Wohl und Wehe hing von seiner Willkür ab. Als er sich das klarmachte, kam es wie ein Rausch über ihn. Aber sie – was empfand sie wohl in diesem Augenblick? Sie hatte sich, während er mit dem Diener sprach, in den äußersten Winkel des Hofes zurückgezogen, stand an die Mauer gelehnt im tiefen Schatten und presste, als ob die Sonne sie blende, beide Hände vors Gesicht. Er trat auf sie zu, sprach sie an – sie rührte sich nicht. Da fasste er sie am Handgelenk – ihre stumme Abwehr erregte sein Mitleid und gleichzeitig auch seine Begierde – und zwang sie, ihm ihr Gesicht unverdeckt zuzuwenden. Das Erste, was er sah, waren zwei Augen, die in Tränen schwammen, und ein vor Erregung bebendes Kinn. Aber das Zweite war, dass er dieses Gesicht trotz der Veränderung, die darin vorgegangen war, erkannte. Erst meinte er, einer Sinnestäuschung zum Opfer zu fallen. Wie sollte das wohl möglich sein, dass ihm dieses georgische Mädchen hier in die Arme gelegt wurde? Zum ersten Mal konnte er mit ihr sprechen. Denn während der zwei Jahre, seit sie den Tataren in die Hände gefallen war, hatte sie deren Sprache erlernt. Und so erfuhr er ihre Geschichte.
    Sie hatte ihr Versteck verlassen, obwohl ihre Lebensmittel und auch der Wein sie noch monatelang vor Hunger und Durst geschützt hätten. Aber als ihr seltsamer Freund nicht wiederkam, hatte eine Unruhe sondergleichen sie befallen. Mit einmal kam ihr das Wort Jesu in den Sinn: »Vom Brot allein kann der Mensch nicht leben, vielmehr lebt er von jedem Wort, das Gott zu ihm spricht.« Da lauschte sie in die Stille hinein, ob sie ein solches Wort vernehmen könne – doch sie lauschte umsonst. Und plötzlich wusste sie, dass auch jedes menschliche Wort ihrer Seele Nahrung geben würde, und sie ertrug die Einsamkeit nicht mehr. Auch dachte sie, die Tataren müssten den Ort wohl geräumt haben, und so verließ sie denn ihr Versteck und geriet einer Nachhut der

Weitere Kostenlose Bücher