Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)
»Ich dachte daran, zu Hause zu bleiben und mir das Rennen im Fernsehen anzuschauen, aber dann bin ich ganz automatisch ins Auto gestiegen und hierher gefahren.«
»Wir haben dich bald wieder im Sattel, Reno.«
Ein Zucken lief über sein Gesicht, und er wandte sich ab; von ihr, von den Pferden, von der Rennbahn. »Ich weiß nicht, ob ich noch mal den Mut dazu aufbringe. Pride hatte das nicht verdient.«
»Du auch nicht«, erwiderte ihm Kelsey ruhig.
»Fast mein ganzes Leben lang habe ich von einem Derbysieg geträumt. Man kann Dutzende von Pferden reiten, Dutzende von Malen als Sieger durchs Ziel gehen, aber am Derby teilzunehmen ist einzigartig.«
»Nächstes Jahr findet wieder ein Derby statt«, sagte Kelsey darauf, »es gibt immer ein nächstes Derby.«
»Ich weiß nicht, ob ich noch eine Chance haben möchte.« Sein Gesicht erstarrte, als er hinter ihr eine Gestalt auftauchen sah. »Viel Glück heute«, wünschte er rasch und eilte davon.
Rossi bemerkte, wie fluchtartig der Jockey verschwand und vermerkte es in seinem Gedächtnis. Ohne Rücksicht darauf zu nehmen, daß Kelsey bei seinem Anblick wenig Begeisterung zeigte, ging er auf sie zu.
»Scheußlicher Tag heute.«
»Bis vor einem Moment sah es noch so aus, als würde es aufklaren.«
Lächelnd nahm er die Spitze zur Kenntnis. »Ich hatte
gehofft, ich würde ein paar Tips kriegen, während ich mich hier umsehe.«
»Äußerst unwahrscheinlich.« Kelsey setzte sich in Bewegung und bemerkte resigniert, daß er an ihrer Seite blieb. »Man sieht Ihnen sofort an, was Sie sind, ein Polizist.«
»Berufsrisiko. Ich will ja nicht behaupten, daß ich viel von Pferden verstehe, Miß Byden, aber Ihres scheint mir ein wenig klein geraten.«
»Der Größte ist er nicht. Stockmaß knapp einsfünfzig. Aber Sie sind mit Sicherheit nicht hier, um über Pferde zu reden.«
»Da irren Sie sich. Die Pferde sind der Mittelpunkt der ganzen Geschichte.« Er bot ihr Erdnüsse an, und als sie ablehnte, knackte er sich selbst eine Nuß. »Ich habe einige Nachforschungen angestellt. Es gibt viele Methoden, um ein Pferd zu töten, Miß Byden, und einige sind ziemlich grausam.«
»Das ist mir bekannt.« Mittlerweile wußte sie schon viel zu viel darüber, denn sie hatte Matt so lange zugesetzt, bis er ihr verschiedene Möglichkeiten schilderte. Man stellt ein Pferd in ein Becken mit Wasser und leitet mit Batteriekabeln Strom ins Wasser. Ein roher und cleverer Mord, der oft gar nicht erkannt wird, es sei denn, der Tierarzt bemerkt Verbrennungen an den Nüstern. Schlimmer noch ist das Ersticken des Tieres, indem man Tischtennisbälle in die Nase einführt. Die kann das Pferd nicht wieder ausstoßen, und es erleidet einen langsamen und qualvollen Tod.
»Ihr Derbypferd«, fuhr Rossi fort, »wurde sogar vor den Augen von Millionen von Zuschauern umgebracht. Sehr riskant. Ich bin überzeugt, daß jemand, der ein solches Risiko eingeht – zumal wenn es unnötig ist – mit allen Mitteln einem anderen Schaden zufügen will. Wer hätte denn ein Interesse daran, Ihrer Mutter in aller Öffentlichkeit einen Tiefschlag zu versetzen?«
»Ich habe keine Ahnung.« Kelsey blieb bei Rossi stehen. Das eröffnete ja ganz neue Möglichkeiten, es machte
Naomi zum Opfer statt zur Verdachtsperson. »Glauben Sie, daß eine derartige Absicht dahintersteckt?«
»Man sollte dem nachgehen. Der Hengst war hoch versichert, aber Three Willows steckt nicht in finanziellen Schwierigkeiten, und auf lange Sicht hätte das Pferd ein Vielfaches der Versicherungssumme eingebracht. Ihre Mutter scheint mir eine vernünftige Geschäftsfrau zu sein. Dann ist da aber noch Slater.«
»Er hat nichts damit zu tun.«
»Das ist eine emotionale Antwort.« Und genau die hatte er erwartet. »Aber lassen wir das mal beiseite. Es hätte sich für ihn gelohnt. Man sucht immer nach denen, die von einem Mord profitieren, Miß Byden, egal, um was für eine Art Mord es sich handelt. Das Problem ist nur, daß die Sache ein schlechtes Licht auf ihn und seinen Derbysieg wirft. Also frage ich mich, ob ihm die Sache das wert gewesen wäre. Er hatte auch so eine gute Chance zu gewinnen, also warum sollte er sich so offensichtlich die Hände schmutzig machen? Er scheint mir nämlich kein Dummkopf zu sein.«
»Eine emotionale Bemerkung, Lieutenant.«
»Eine Beobachtung, Miß Byden. Er war nicht der einzige, der von dem Sieg profitierte. Da wären noch sein Trainer und sein Jockey, die beide ein Stück vom Kuchen abbekommen. Und
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