Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)
nicht zu vergessen: Jeder, der auf Double or Nothing gewettet hat.«
Kelsey lachte kurz auf und ließ ihren Blick über die Menge schweifen. »Das engt den Kreis der Verdächtigen allerdings gewaltig ein.«
»Mehr als Sie denken.« Auch Rossis Blick schweifte über die Menge. Er unterhielt sich prächtig. »Wenn wirklich eine Verbindung zu meinen beiden Mordfällen besteht, dann reduziert das die Zahl der Verdächtigen enorm. Wem hat Lipsky vertraut – oder wen fürchtete er – um ihn so nahe an sich heranzulassen, daß dieser Mensch ihn töten konnte? Jemand, mit dem er zusammengearbeitet hat? Oder jemand für den er gearbeitet hat? Es waren mehr als nur zwei Pferde im Rennen, Miß Byden, und von dem Derby hing entschieden mehr ab als nur ein Pokal.«
Kelsey sah ihm ins Gesicht. »Warum erzählen Sie mir das alles?«
»Sie sind ein Neuling in diesem Geschäft, und Ihnen fällt vielleicht mehr auf als manch anderen.« Rossi schwieg einen Moment, um eine weitere Erdnuß zu knakken. »Und Sie sind persönlich betroffen. Ihre Verbindung mit Ihrer Mutter ist manchen Leuten ein Dorn im Auge.«
Also hatte er auch ihr Privatleben unter die Lupe genommen. Das hätte sie sich eigentlich denken können. »Das sind Familienangelegenheiten, Lieutenant, die mit den Morden nicht das geringste zu tun haben.«
»Ich könnte jetzt anhand von Statistiken belegen, daß gerade Familienangelegenheiten häufig zu einem Mord führen, aber ich bitte Sie nur, die Augen offenzuhalten.«
»Sie sind offen, Lieutenant.« Kelsey rührte sich nicht von der Stelle. Sie wollte unbedingt verhindern, daß er ins Sichtfeld der Boxen geriet. Naomi sollte sich so kurz vor Rennbeginn nicht noch unnötig aufregen. »Wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollen, ich muß zu meiner Mutter.«
»Viel Glück«, rief er ihr nach und nahm sich noch eine Nuß. Ihn beschlich das ungute Gefühl, daß Kelsey Byden sehr viel schwerer zu knacken war.
Kelsey kam gerade rechtzeitig, um mitanzusehen, wie die Pferde in die Startboxen geladen wurden.
»Ich hatte schon Sorge, daß du’s nicht mehr schaffst.«
»Hab’ jemanden getroffen«, brummte Kelsey und schaute von ihrer Mutter zu Gabe. Sie nahm seine Hand und drückte sie kurz. »Kleine Wette am Rande, Slater?«
»Du schuldest mir noch was von der letzten.«
»Gut, dann alles oder nichts.« Sie musterte das Feld durch ihr Fernglas. »Dein Pferd, um zwei Längen. Der Boden ist zwar matschig, aber ich würde sagen, er schafft es in einer Minute achtundfünfzig. Unser Hengst . . . Dritter, zwei Minuten zwölf.«
Gabe hob eine Augenbraue. »Die Wette gilt. Dabei kann ich gar nicht verlieren.«
Das Startsignal ertönte. Unmittelbar nachdem die Boxen sich geöffnet hatten, übernahmen Double und sein
Jockey die Führung. Als ob sie beide wußten, daß sie sich beweisen mußten, dachte Kelsey. Hier lief ein Champion, löste sich vom Feld und schoß vorwärts, ohne daß er mit der Gerte angetrieben werden mußte. Nach der ersten Runde führte er mit einer halben Länge, während die Pferde aus Kentucky und Arkansas um den zweiten Platz kämpften.
Wieder war Kelsey vollkommen fasziniert von der Magie des Rennens. Das Fernglas fest gegen die Augen gepreßt, spornte sie die Pferde an. Ihre Befürchtung, daß sie ständig das Bild von Prides Sturz vor Augen haben würde, hatte sich zum Glück nicht bewahrheitet. Sie sah nur die schlammbespritzten, über die Bahn donnernden Kraftpakete.
Ein leichter Nieselregen, der wie feiner Nebel in der Luft hing, setzte ein und trübte ihren Blick.
Double hatte sich jetzt um eine volle Länge vom Feld abgesetzt. Seine roten Bandagen waren inzwischen schmutzbefleckt, sein Jockey balancierte in den Steigbügeln. Vor Freude über diesen Anblick lachte Kelsey laut auf.
Doch dann geschah etwas Unerwartetes. Wie ein von der Sehne schnellender Pfeil schoß High Water plötzlich an der Außenseite hervor. Kelseys Atem stockte bei diesem blitzschnellen Spurt. Er holte auf, seine Hufe gruben sich in den Boden und wirbelten Erdpartikel auf. Er kämpft um seine Ehre, dachte sie benommen.
Auf der Geraden baute Double seine Führung aus, angefeuert von dem dröhnenden Jubel der Menge, in dem alles andere unterging und der sich sogar noch steigerte, als sich High Water in einem atemberaubenden Finish hinter Double den zweiten Platz erkämpfte.
»Sieh nur, Mom! Mein Gott, sieh ihn dir nur an!«
»Ich sehe es ja.« Tränen rannen Naomi über das Gesicht und vermischten sich mit den
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