Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)
sitzen mußte, den Blicken der Vorübergehenden hilflos ausgesetzt? Es mußte ein schreckliches Gefühl sein, wenn man hinter Glas gefangensaß, während draußen der Frühling lockte.
Über sich selbst verblüfft, schüttelte Kelsey den Kopf. Es war noch gar nicht so lange her, daß es ihr ähnlich ergangen war. Wie sehr sich doch in den paar Monaten ihre Anschauungen und Erwartungen geändert hatten.
Rooneys Ermittlungsdienst lag in der südlichen Ecke des Gebäudes. Es handelte sich dabei weder um ein Ein-Mann-Unternehmen, noch wirkte das Büro so schäbig und vernachlässigt, wie Detektivagenturen oft im Fernsehen dargestellt wurden.
Hier würde sie wohl kaum eine Whiskyflasche in der Schreibtischschublade finden, schmunzelte Kelsey, als sie die Glastür öffnete und von sanfter Hintergrundmusik und Gardenienduft begrüßt wurde.
Die Blumen blühten in großen Kübeln neben einer pastellfarbenen Sofagarnitur. An den Wänden hingen Drucke von Monets Wasserlilien, und auf einem imitierten Queen-Anne-Teetisch stapelten sich Ausgaben von Southern Home.
Die Frau, die hinter dem riesigen Ebenholzschreibtisch in der Mitte des Raumes saß, wirkte ebenso aufpoliert wie ihre Umgebung. Als Kelsey eintrat, blickte sie von ihrem Bildschirm hoch und bedachte sie mit einem professionellen, jedoch überraschend herzlichen Lächeln.
»Kann ich Ihnen helfen?«
»Ich habe einen Termin bei Mr. Rooney.«
»Miß Monroe? Sie sind ein bißchen früh dran. Nehmen Sie bitte Platz, ich schaue mal, ob Mr. Rooney schon Zeit für Sie hat.«
Kelsey ließ sich neben den Gardenien nieder, schlug eine Zeitschrift auf und versuchte die nächsten zehn Minuten einen Fotobericht über die prunkvolle Einrichtung einer Vorkriegsvilla außerhalb von Raleigh zu lesen. Aber ihr schlechtes Gewissen plagte sie.
Sie hätte nicht kommen sollen. Und sie hätte sich schon gar nicht unter dem Namen anmelden sollen, den sie nicht mehr trug und den sie nicht mehr haben wollte. Welches Recht hatte sie überhaupt, ihre Nase in Naomis Angelegenheiten zu stecken? Sie sollte wirklich besser gehen und der Empfangsdame sagen, sie hätte es sich anders überlegt.
Sie wäre mit Sicherheit nicht die erste, die Hals über Kopf aus einem Detektivbüro flüchtete. Und selbst wenn, was machte das schon?
Sie sollte lieber im Stall sein und mit Honor arbeiten.
Trotzdem blieb sie sitzen, bis die Empfangsdame ihren Namen nannte und sie in Rooneys Büro führte.
Zu beiden Seiten des Innenflurs lagen weitere Türen. Kein Glas diesmal, wie Kelsey bemerkte, was hinter diesen Türen vorging, war nicht zu sehen. Diskretion war das A und O in diesem Geschäft.
Wie konnte sie erwarten, daß Rooney ihr Auskünfte gab, auch wenn der Fall schon dreiundzwanzig Jahre zurücklag?
Weil es ihr gutes Recht war, sagte sich Kelsey, und straffte ihre Schultern, und weil sie Naomi Chadwicks Tochter war.
»Mr. Rooney. Miß Monroe ist hier.« Die Empfangsdame öffnete einen Flügel der schweren Eichentür, ließ Kelsey eintreten und zog sich taktvoll zurück.
Der unpersönlich wirkende Raum war einfach und funktionell möbliert. Sein einziger Schmuck bestand aus einem großen präparierten Fisch mit Glasaugen an der Wand und einem Regal voller Modellschiffe. Der Mann, der sich hinter dem Schreibtisch erhob, sah aus wie der sprichwörtliche gute Onkel von nebenan. Leichter Bauchansatz, schütter werdendes Haar, ein rundes Gesicht und hängende Schultern. Sein Schlips saß schief, als hätte er ihn eben noch zu lockern versucht.
Rooneys Stimme klang ruhig und freundlich; ein Tonfall, den er bewußt einsetzte, um seinen Klienten die Nervosität zu nehmen.
»Tut mir leid, daß ich Sie habe warten lassen, Miß Monroe. Möchten Sie eine Tasse Kaffee?« Er wies auf eine Kaffeemaschine auf dem Tisch hinter sich. »Ich habe immer frischen da, um in Schwung zu bleiben.«
»Nein, danke. Aber bedienen Sie sich nur.« Kelsey nahm Platz und nutzte die Zeit, in der er sich Kaffee einschenkte, um ihn und seine Umgebung aufmerksam zu mustern.
Ein ganz gewöhnlicher Mann in einem ganz gewöhnlichen Büro. Wie hatte er nur einen so vernichtenden Einfluß auf das Leben so vieler Menschen haben können?
»Also, Miß Monroe, Sie haben anklingen lassen, daß Sie Hilfe in einem Sorgerechtsstreit benötigen.« Er setzte sich und rührte zerstreut in dem Kaffeebecher herum. Ein Notizblock lag schon bereit. »Sie sind geschieden?«
»Ja.«
»Und das Kind? Bei welchem Elternteil liegt augenblicklich das
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