Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)
eigentlich nicht gedacht.« Über ihm kniend sah sie auf ihn hinab. »Obwohl das Angebot durchaus verlockend ist.« Sie beugte sich zu ihm hinunter und gab ihm einen schallenden Kuß. »Ich komme darauf zurück, wenn ich wieder da bin.«
Gabe langte nach ihr, doch sie krabbelte bereits aus dem Bett. »Wo willst du denn hin?«
»Ich muß an die Luft, und da kann ich gleich nach Double sehen.«
Als er zusah, wie sie ihre Jeans über die nackten Hüften streifte, stieg Verlangen in ihm auf. »Liebes, es ist ein Uhr nachts.«
»Ich weiß.« Sie zog sich ein überweites T-Shirt über den Kopf. »Aber in ungefähr acht Stunden sind wir in Belmont. Wer kann da schon schlafen?« Das Haar zurückwerfend, fuhr sie in ihre Stiefel.
Er hätte noch weiter schlafen können, kannte sie aber gut genug, um darüber nicht mehr zu reden. »Ich komme mit.«
»Brauchst du nicht. Ich bleibe nicht lange weg.«
Gabe setzte sich auf und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Ich komme mit.«
»Okay, dann fang mich doch.« Mit diesen Worten stürmte sie zur Tür hinaus und rannte die Treppe hinunter.
Es war eine herrlich warme Juninacht, nur ab und zu wehte ein sachter Wind, und am Himmel funkelten unzählige Sterne. Von fern ertönte der klagende Ruf einer Eule, und in der Luft hing ein süßer Duft von Rosen und Jasmin. Über allem schien der Mond und tauchte die Gebäude in ein fahles, gespenstisches Licht, das ihnen eine zeitlose, märchenhafte Aura verlieh.
Es war einmal, dachte Kelsey verträumt. Vielleicht spielte sie gerade die Hauptrolle in ihrem eigenen, ganz persönlichen Märchen. Eine Tragödie hatte sie hierher geführt und ihr die Tür zu ihrer Zukunft geöffnet, das stimmte schon. Andererseits gab es in Märchen auch tragische Ereignisse, da gab es verwunschene Prinzen, arme Waisenkinder, Verrat, schwere Opfer und verlorene Liebe.
Aber immer triumphierte das Gute über das Böse.
Vielleicht gefiel ihr der Vergleich deshalb so gut. Wenn dies ihr eigenes Märchen werden sollte, dann würde sie dafür sorgen, daß das Gute siegte. Sie würde die Suche nach der Wahrheit nicht aufgeben.
Sie würde sowohl Captain Tipton als auch Charles Rooney noch einmal aufsuchen, mit Gertie, Moses und auch
mit Naomi sprechen. Mit jedem, der auch nur im entferntesten mit den Ereignissen, die zum Tod Alec Bradleys geführt hatten, in Verbindung gebracht werden konnte. Und sie würde Naomi überreden, ihre Anwälte von der Schweigepflicht zu entbinden.
Aber jetzt lag erst einmal das Belmont vor ihr, die ganze nächste Woche lang. Und sie würde daran teilhaben. Übersprudelnd vor Freude schaute Kelsey in den Nachthimmel. Sie war ein Rädchen im Getriebe des großartigsten Ereignisses der Rennwelt, es war kaum zu fassen.
In einer Woche würde sie zusehen, wie Gabe und sein sensationeller Hengst sich den letzten Zacken der Triple Crown holten.
Eine Katze huschte über den Weg. Angesichts des schlanken grauen Schattens erschrak Kelsey so sehr, daß ihr Herz beinahe stehenblieb.
Die Stalltür öffnete sich leise quietschend. Vertraute Gerüche stiegen ihr in die Nase, es roch nach Pferden, Leder, Salben und Heu. Da sie es vermeiden wollte, das Licht einzuschalten und die schlafenden Tiere zu stören, tastete sie sich an der Wand entlang, bis sie eine Taschenlampe fand.
Aus der Dunkelheit des zweiten Stalls heraus funkelte sie ein Paar koboldähnlicher Augen an. Kelsey stockte der Atem, der Lichtstrahl flackerte leicht. Sah sie schon Gespenster? Nur gut, daß Gabe nicht dabei war und sie damit aufziehen konnte, daß sie sich vor harmlosen Katzen fürchtete.
Beim Anblick des Feldbetts, das vor Doubles Box aufgestellt war, mußte sie schmunzeln.
Nun, sie hatte nicht vor, den Pfleger zu wecken. Sie würde nur kurz einen Blick in die Box werfen und die beiden dann ruhig schlafen lassen.
Doch zu ihrer Überraschung war das Bett leer. Besorgt leuchtete Kelsey in die Box. Double stand da, hellwach, und starrte sie neugierig an.
»Entschuldige, Kumpel. Schätze, ich bin einfach viel zu nervös. Ist dein Freund eine Zigarette rauchen gegangen,
oder wo ist er? Hast du deine Sachen schon gepackt?« Lachend griff sie nach der Tür.
Sie war nicht ordnungsgemäß verriegelt, sondern stand einen Spalt offen.
»O Gott!« Eine Bewegung hinter ihr ließ sie herumfahren, die Taschenlampe zum Schlag erhoben. Das Blut rauschte in ihren Ohren, als sie den Lichtstrahl wandern ließ und die Katzen, die unbedingt nachts auf die Jagd gehen mußten, von
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