Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)
Herzen verwünschte.
Aber selbst die geschickteste Katze hätte nicht den Riegel zurückschieben und die Tür öffnen können. Die Sorge um das wertvolle Pferd bestimmte Kelseys Denken, und sie stieß die Tür ganz auf und leuchtete in die Box. In dem Moment, in dem sie sich umdrehte, um die Ecken der Box abzusuchen, schien etwas in ihrem Kopf zu explodieren.
Das letzte, was sie wahrnahm, war ein plötzlicher stechender Schmerz und das hohe, verängstigte Wiehern des Hengstes. Dann umgab sie tiefe Dunkelheit. Voller Panik und keuchend atmend, huschte eine Gestalt aus der Box, während Double unruhig zu tänzeln begann. Seine tödlichen Hufe schwebten über der bewußtlosen Kelsey.
Auf halbem Weg zwischen Haus und Stall balancierte Gabe zwei Becher mit Tee in der Hand. Er hielt es für wahrscheinlich, daß sie den größten Teil der Nacht aufbleiben würden, dennoch war um diese Zeit der Kräutertee, den Kelsey bevorzugte, immer noch besser als Kaffee. Besonders, wenn es ihm gelang, sie ins Bett zurückzulocken.
Eigentlich hatten sie nur wenig geschlafen, dachte er, seit jener Nacht, in der er zu ihr in die Badewanne gekommen war. Es hatte ihn Überredungskünste gekostet, sie zu bewegen, für ein paar Tage bei ihm einzuziehen. Dabei hatte er sich auf das bevorstehende Rennen berufen – schließlich brauchte er moralische Unterstützung.
Bislang ging alles gut, dachte Gabe. Und er hatte vor, sie immer bei sich zu behalten. Doch vermutlich war jede Frau, die gerade eine Scheidung hinter sich hatte, von dem Gedanken an eine zweite Ehe nicht sehr begeistert.
Was ihn am meisten wunderte, war, daß er sich gegen diese Vorstellung nicht sträubte. Irgendwann hatte sich der Wunsch in seinem Kopf festgesetzt und war in seinem Herzen gereift. Dabei hatte er nie geplant, zu heiraten und eine Familie zu gründen. Für einen Mann seiner Herkunft schien ihm der Gedanke absurd, ja sogar gefährlich.
Doch nicht mit Kelsey. Mit ihr konnte er sich eine gemeinsame Zukunft vorstellen. Diese Chance wollte er unbedingt nutzen.
Zusammen könnten sie der Welt entgegentreten, alles miteinander teilen. Sein Blick schweifte über die Stallungen, die Hügel, die Koppelzäune. Zusammen würden sie stark sein und mehr schaffen.
Und vielleicht konnten sie sich auch gegenseitig helfen, ihre Vergangenheit zu bewältigen.
Das schrille Wiehern des Hengstes durchdrang die Stille. Beide Becher zersprangen auf dem Schrotter, als Gabe vorwärtsstürmte. Lauthals Kelseys Namen rufend riß er die Stalltür auf und schaltete das Licht an. Die Angst stieg in ihm hoch und raubte ihm fast den Verstand.
Sie lag zusammengekrümmt mit dem Gesicht nach unten im Stroh. Double drängte sich mit rollenden Augen in die Ecke seiner Box und keilte wie rasend nach allen Seiten aus. Vor Schreck wich Gabe das Blut aus dem Gesicht.
Mit einer blitzschnellen Bewegung war er bei Kelsey und hob sie vorsichtig auf, wobei er sie mit seinem Körper schützte. Den Schlag, der ihn an der Schulter traf, spürte er kaum. Kelseys Gesicht war leichenblaß, ihr Körper schlaff und leblos. Ohne auf den Hengst zu achten, legte Gabe sie behutsam auf das Feldbett und tastete mit zitternden Fingern nach ihrem Hals, um ihren Puls zu fühlen.
»Bitte, Baby. Bitte.«
Da war es, das schwache Lebenszeichen. Gabe preßte die Finger fest auf ihre Halsschlagader, als ob er fürchtete, das Leben könne ersterben, sobald er sie losließ, und vergrub sein Gesicht in ihrem Haar.
Zwischen Panik und Erleichterung schwankend, blieb er so sitzen, die Finger noch immer an ihrem Hals und das Gesicht in ihr Haar gedrückt, und wiegte sie sacht hin und her.
»Gabe. Um Himmelswillen, Gabe!«
Die angsterfüllte Stimme seines Trainers holte ihn in die Wirklichkeit zurück. Er hob den Kopf und erblickte Jamison, der mit unirdisch anmutenden Bewegungen in die Box trat, um den Hengst zu beruhigen.
»Ruhig, mein Junge. Ganz ruhig jetzt.« Er zog den Kopf des Tieres zu sich herunter und setzte Stimme und Hände ein, um Double zu besänftigen. »Ist ja gut.« Doch der Blick, mit dem er Gabe anschaute, war alles andere als ruhig. »Was zum Teufel geht hier vor? Wo ist Kip? Er sollte vor der Box Wache halten.«
»Woher soll ich denn wissen, wo er ist? Aber du wirst ihn schon finden. Sieh zu, daß du ihn und den verfluchten Nachtwächter auftreibst.« Gabe zwang sich bewußt zur Ruhe, als er Kelsey mit langsamen Bewegungen auf Knochenbrüche hin untersuchte. An ihrem Hinterkopf ertastete er eine
Weitere Kostenlose Bücher