Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)
Mann, mit dem sie die Nacht zuvor getanzt hatte. Sonnenverbrannte Haut, ein bleistiftdünner Schnurrbart und eine auffallend sonore Stimme. Er hatte ihr Tango beibringen wollen.
»Grüßen Sie Ihren Mann von mir. Er ist ein ausgezeichneter Tänzer.«
»Ja, das ist er, mein Hank.« Janet kicherte und fuhr fort: »Jede Frau möchte gern mit ihm aufs Parkett. Er behauptet ja, ich hätte ihn nur geheiratet, weil er so gut tanzen kann.«
Auf Anweisung der Kosmetikerin streifte sie einen Smaragdring vom Finger, der leicht als Briefbeschwerer hätte dienen können.
»Ich habe Ihre Mutter heute auf der Bahn gesehen. Kaum zu glauben, daß wir so viele Rennen schon gemeinsam gemacht haben.«
»Sie kennen Naomi schon lange?«
»Seit ich quasi die Pferde mitgeheiratet habe. Sie ist allerdings mit ihnen großgeworden.« Offenbar mehr am Klatsch interessiert als an dem Modemagazin, das sie lässig durchblätterte, legte es Janet beiseite. Ihre Augen funkelten vor Neugier. »Sie sind doch auch schon von Kind an dabei?«
»Ich bin erst später dazugekommen.«
»Ist es nicht so, daß Sie zurückgekommen sind? Ich erinnere mich, Sie auf der Bahn gesehen zu haben, als Sie noch in den Windeln lagen.«
»Ach wirklich?«
»Ja klar! Naomi war auf Sie stolzer als auf all ihre
blauen Bänder. Wir haben Sie immer ›Naomis Vollblut‹ genannt. Aber daran erinnern Sie sich bestimmt nicht mehr.«
Naomis Vollblut. Die Bezeichnung gefiel Kelsey, stimmte sie aber zugleich ein wenig traurig. »Nein, ich erinnere mich nicht.«
»Ihren Vater habe ich auch ein- oder zweimal getroffen. Der Arme, er wirkte immer so verloren. Was war er doch gleich? Buchhändler?«
»Mein Vater ist Dekan der Englischen Fakultät der Georgetown University.«
»Ach ja, richtig.« Ohne die Kühle in Kelseys Stimme zu bemerken, plapperte Janet weiter, wobei sie gehorsam die Finger in eine Schüssel mit Wasser tauchte. »Ich wußte doch, daß es irgendwas mit Büchern zu tun hatte. Naomi war vollkommen vernarrt in ihn. Wir alle dachten insgeheim, daß es eine Schande war, als die Ehe in die Brüche ging. Aber das kommt ja häufig vor, nicht wahr?«
»Wenn man den Statistiken Glauben schenken darf.«
»Hank und ich gehören zu den Glücklichen. Im September werden es achtundzwanzig Jahre.«
»Herzlichen Glückwunsch.« Da es offenbar kein Entrinnen gab, versuchte Kelsey, das Thema zu wechseln. »Haben Sie Kinder?«
»Drei, zwei Jungen und ein Mädchen. Unsere DeeDee ist schon verheiratet und hat selbst zwei kleine Mädchen.« Wenn sie eine Hand frei gehabt hätte, Janet hätte wohl sofort in ihrer Handtasche nach Fotos gekramt. »Meine Jungs behaupten immer, sie hätten die Richtige noch nicht gefunden. Aber mein Jüngster ist ja auch gerade erst zwanzig. Studiert Bautechnik. Aber davon habe ich nicht die leiseste Ahnung.«
Janet erzählte noch eine Weile von ihren Kindern, und Kelsey entspannte sich dabei ein wenig.
»Aber zwischen Mutter und Tochter besteht doch ein besonderes Band«, sagte Janet dann, sich an ihr eigentliches Thema herantastend. »Oder finden Sie nicht? Wissen Sie, sogar nach all diesen Jahren der Trennung wirken Sie
und Naomi noch so verbunden. Um die Wahrheit zu sagen, das alles ist schon so lange her, daß viele Leute schon vergessen haben, daß Naomi überhaupt eine Tochter hat. Falls sie es überhaupt gewußt haben.«
Sie hielt eine Hand hoch, um die erste Schicht rosafarbenen Lackes zu inspizieren. »Sehr hübsch, meine Liebe.« Als sie ihre Aufmerksamkeit wieder Kelsey zuwandte, nahm ihre Stimme einen vertraulichen Ton an: »Ich möchte Ihnen ja nicht zu nahe treten, aber die meisten von uns, die Naomi und die ganze Situation kannten, standen damals hinter ihr. Ich halte es für gegen die Natur, ein Kind von seiner Mutter wegzureißen.«
Da sie merkte, daß beide Kosmetikerinnen die Ohren gespitzt hatten, schlug Kelsey einen bewußt kühlen Ton an. »Ich bin sicher, Naomi wußte das zu schätzen.«
»Viel geholfen hat es ihr nicht. Ich muß zugeben, daß sie damals leider selbst ihr ärgster Feind war. Ich war immer der Meinung, die Wut auf Ihren Vater hätte sie zu ihrem Verhalten getrieben. Und damals ging es in der Gesellschaft noch etwas . . . wilder zu. Aber Alec Bradley.« Sie schnalzte mit der Zunge. »Naomi hätte es wirklich besser wissen sollen. Mit diesem Kerl zu flirten! Oje!« Als ob ihr der Ausgang dieses Flirts wieder in den Sinn gekommen wäre, schlug Janet verlegen die Augen nieder. »Das tut mir aber leid. Da
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