Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)
habe ich wohl einen wunden Punkt getroffen.«
Unter anderen Umständen hätte sich Kelsey darüber amüsiert, daß jemand einen tödlichen Schuß und eine zehnjährige Haftstrafe als ›wunden Punkt‹ bezeichnete. Doch Janets Satz enthielt eine wichtige Information. »Haben Sie Alec Bradley gekannt?«
»O ja. Die meisten von uns haben ihn damals gekannt oder wenigstens von ihm gehört. Er war ein Bombenkerl, wie meine DeeDee sich ausdrücken würde. Gutaussehend, groß und dunkelhaarig und mit einem Lächeln, das Frauen dahinschmelzen ließ. Und er wußte um seinen Charme. Glauben Sie mir, er wußte es und nutzte es nach Kräften aus. Sogar bei mir hat er versucht zu landen – aber
Hank hat das schnell abgestellt.« Janet kicherte wie ein Schulmädchen. »Ich muß zugeben, daß ich mich geschmeichelt fühlte, obwohl ich seinen Ruf kannte.«
»Was für einen Ruf hatte er denn?«
»Nun, meine Liebe . . .«, bereitwillig rutschte Janet ein Stückchen nach vorn, »seine Familie hat ihn quasi verstoßen. Verarmter Adel. Hatten zwar kaum genug Geld, um ihre Rechnungen zu bezahlen, waren aber ungemein stolz auf ihren Stammbaum. Da war auch noch der Skandal mit Alecs erster Frau.« Sie rückte noch ein bißchen näher, sichtlich interessiert, den alten Klatsch wieder aufzuwärmen. »Wissen Sie, er hatte eine Vorliebe für ältere Frauen, wohlhabende ältere Frauen. Jeder wußte, daß seine erste Frau ihn bei der Scheidung mehr als großzügig abgefunden hatte, um ihr Gesicht zu wahren. Nicht, daß ihr das viel genutzt hat, da ohnehin jeder wußte, daß Alec . . . nun . . . daß er auch andere Damen beglückt hat.«
»Er war also ein Frauenheld?«
»Und was für einer. Der Witz an der Sache war allerdings, daß er sich für seine Dienste bezahlen ließ.«
»Er – die Frauen bezahlten ihn für Sex?«
Wieder kicherte sie verlegen. Janet bevorzugte vorsichtige Umschreibungen. »Ich weiß nicht, ob das nicht ein bißchen hart klingt, aber es war allgemein bekannt, daß man ihn sozusagen engagieren konnte. Als Begleiter. Auch in der Welt des Pferderennsports gibt es viele alleinstehende Frauen, unverheiratete, geschiedene oder getrennt lebende. In solchen Fällen sprang Alec ein, begleitete diese Frauen auf Partys oder zu Rennen. Wie ich schon sagte, er sah sehr gut aus. Billig war er bestimmt nicht, denn er neigte auch dazu, hohe Summen zu wetten.«
Als sie lächelte, bröckelten Krümel von ihrem Gesicht ab und fielen wie bunte Schuppen auf ihren Umhang. »Niemand hat angenommen, daß zwischen ihm und Ihrer Mutter eine derartige – Geschäftsbeziehung bestand. Eine Frau wie Naomi konnte jeden Mann haben, den sie wollte. Das ist auch heute noch so. Alec schien von ihr vollkommen
betört zu sein. Trotzdem konnte er es nicht lassen, auch anderen Frauen schöne Augen zu machen. Aber Naomi war nicht der Typ, der das einfach hinnahm. Es kam zu einer hitzigen Auseinandersetzung, und Naomi machte mit ihm Schluß.«
Diesmal war Janets Verlegenheit nicht vorgetäuscht. »Das heißt – ich wollte damit sagen . . .«
»Sie waren in jener Nacht dabei.« Unerbittlich bohrte Kelsey, die jegliches Ablenkungsmanöver im Keim erstikken wollte, weiter. »In der Nacht, in der er starb.«
»Ja.« Janet war von Kelseys zielsicherer Frage überrascht, und sie hatte sie leicht aus der Fassung gebracht. »Hank und ich hatten geschäftlich in Virginia zu tun. Fast alles, was in der Rennwelt Rang und Namen hat, war bei dieser Party anwesend. Aha, scheint so, als ob ich fertig wäre.« Prüfend hielt Janet die Hände hoch. »Und da wir gerade von Partys sprechen, ich freue mich ja schon so auf heute abend. Bin gespannt, was sich Ihr hübscher junger Mann da ausgedacht hat.«
»Sie haben sich gestritten.« Ohne auf den Protest der Kosmetikerin zu achten, griff Kelsey mit einer Hand nach Janets Arm. »In dieser Nacht haben sie sich gestritten.«
»Ja, Liebes.« Inzwischen bedauerte Janet heftig, daß sie sich durch ihre Schwatzhaftigkeit so in die Enge hatte treiben lassen. Freundlich fuhr sie fort: »Nachdem es zu diesem. . . Vorfall gekommen war, wurden viele von uns über diese Auseinandersetzung befragt. Sie haben sich ja auch nicht gerade leise gezankt, sondern Naomi hat Alec in aller Deutlichkeit zu verstehen gegeben, daß für sie die Beziehung zu Ende war. Beide hatten wohl etwas mehr getrunken, als sie vertragen konnten, und so gab ein Wort das andere. Naomi schüttete ihm ein Glas Sekt ins Gesicht und verließ wutschnaubend
Weitere Kostenlose Bücher