Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)
ihrer Ehe mit einem älteren Mann abzuschütteln. Sie hatte das Opfer in der Mordnacht zu sich eingeladen. Sie war allein im Haus und nur mit einem Negligé bekleidet gewesen.
Rooney konnte zwar nicht beschwören, was die beiden miteinander gesprochen hatten, doch die Fotos und seine Beobachtungen sprachen Bände. Demnach hatte das Paar sich zunächst umarmt, es war Brandy geflossen, und bald waren die beiden in Streit geraten. Naomi war nach oben gestürmt und Bradley ihr gefolgt
Pflichteifrig war Rooney auf den nächsten Baum geklettert, um sein Teleobjektiv auf das Schlafzimmerfenster zu richten. Dort wurde der Streit heftiger, Naomi schlug Bradley ins Gesicht, und als sich dieser zum Gehen wandte, zog sie eine Pistole aus ihrer Nachttischschublade. Die Kamera hatte das Entsetzen auf seinem und die Wut auf Naomis Gesicht genau eingefangen.
Kelsey starrte das Foto und die Schlagzeile, die SCHULDIG! schrie, lange an. Dann fotokopierte sie die Seiten, ordnete ihre Notizen, ging zum Telefon und wählte eine Nummer, ehe ihr Verstand Oberhand über ihre Gefühle gewinnen konnte.
»Three Willows.«
»Naomi Chadwick bitte.«
»Wer spricht denn dort?«
»Kelsey Byden.«
Am anderen Ende hörte sie kurz einen überraschten Laut. »Miß Naomi ist bei den Ställen unten. Ich sage ihr Bescheid.«
Einige Sekunden später wurde ein anderer Hörer abgehoben,
und Kelsey hörte Naomis kühle, beherrschte Stimme. »Hallo, Kelsey, schön, dich zu hören.«
»Ich möchte noch einmal mit dir sprechen.«
»Sicher. Wann immer du willst.«
»Jetzt. Ich bin ein einer Stunde da, und es wäre mir lieber, diesmal mit dir allein zu sein.«
»Gut. Ich warte auf dich.«
Naomi legte auf und wischte die feuchten Hände an ihren Jeans ab. »Meine Tochter kommt, Moses.«
»Das dachte ich mir.« Moses Whitetree, Naomis Trainer, Vertrauter und langjähriger Liebhaber, las weiter in seinen Zuchtberichten. Er war halb Jude, halb Choctaw-Indianer und hatte diese Mischung nie als selbstverständlich hingenommen. Das Haar hing ihm in einem grau werdenden Zopf den Rücken hinunter, und auf seiner Brust glitzerte ein silberner Davidstern.
Es gab nichts, was er nicht über Pferde wußte. Und bis auf wenige Ausnahmen zog er sie den Menschen vor.
»Sie wird Fragen stellen.«
»Ja.«
»Was soll ich ihr antworten?«
Moses mußte Naomi nicht erst anschauen, um ihre Stimmung beurteilen zu können. Er kannte sie in- und auswendig. »Versuch’s mal mit der Wahrheit.«
»Was hat mir die Wahrheit schon gebracht?«
»Sie ist dein Fleisch und Blut.«
Für Moses war alles so einfach, dachte Naomi ungeduldig. »Sie ist eine erwachsene Frau, und ich hoffe, sie hat ihre eigene Meinung. Sie wird mich nicht einfach akzeptieren, nur weil wir blutsverwandt sind, Moses. Ich wäre auch sehr enttäuscht, wenn sie das täte.«
Moses legte seine Papiere beiseite und erhob sich. Er war ein kleiner Mann, nur ein paar Pfund zu schwer und ein paar Zentimeter zu groß, um als Jockey arbeiten zu können – einst sein heimlicher Traum. »Du willst, daß sie dich liebt, aber so wie du dir das vorstellst. Du hast schon immer zuviel verlangt, Naomi.«
Liebevoll streichelte sie seine Wange, die vom Wetter
gegerbt war. Sie konnte ihm nie ernsthaft böse sein; er war der Mann, der auf sie gewartet hatte, der keine Fragen stellte und der sie immer geliebt hatte.
»Das hast du mir schon oft vorgeworfen. Aber bis zu dem Zeitpunkt, als ich sie wiedersah, wußte ich nicht, wie sehr ich sie brauchte, Moses. Ich wußte nicht, daß sie mir so viel bedeuten würde.«
»Und nun wünschst du, daß es nicht so wäre.«
»O ja.«
Das konnte er gut verstehen. Fast sein ganzes Leben lang hatte er sich gwünscht, er würde Naomi nicht lieben. »In meinem Volk gibt es ein Sprichwort.«
»In welchem Volk?«
Er mußte lächeln. Beide wußten sie, daß er die Hälfte der Sprichwörter, die er als Kommentare abgab, erfand und die andere Hälfte so auslegte, daß sie zu seinen Absichten paßte. »Nur Narren verschwenden ihre Wünsche. Gib dich so, wie du bist, das wird genügen.«
»Moses.« Ein Pferdepfleger schaute ins Büro und tippte an seinem Hut, als er Naomi sah. »Miß. Mir gefällt es nicht, wie Serenity ihr rechtes Vorderbein schont. Leicht geschwollen ist es auch.«
»Heute morgen ist sie gut gelaufen.« Moses zog die Brauen zusammen. Er war seit dem Morgengrauen auf den Beinen, um das Training zu beobachten. »Dann schauen wir doch mal.«
Moses’ Büro befand sich neben
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