Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)
unscharfe Zeitungsfoto vermittelte den Glanz, den sie ausstrahlte. Ihr Gesicht wirkte unwahrscheinlich jung und schön, und ihre Augen blitzten, als würde sie jeden Moment in ein Lachen ausbrechen.
Die beiden sahen aus, als könnten sie es mit der ganzen Welt aufnehmen.
Der Anblick schmerzte Kelsey, und sie ermahnte sich, daß es unsinnig sei, sich über eine Scheidung zu grämen, die ohne ihr Wissen erfolgt war. Doch diese beiden jungen lebensfrohen Menschen waren ihre Eltern, und nun war
der eine für den anderen nicht mehr als eine schmerzliche Erinnerung.
Kelsey fotokopierte die wichtigsten Dinge und machte sich zusätzlich Notizen wie für einen Bericht. Als sie ihre eigene Geburtsanzeige fand, schwankte sie zwischen Belustigung und Verwirrung.
Danach kam nicht mehr viel, hier und da eine kurze Meldung über einen Ballbesuch oder die Teilnahme an einer Wohltätigkeitsveranstaltung. Offenbar hatten ihre Eltern während ihrer kurzen Ehe ein zurückgezogenes Leben geführt.
Dann folgte der Sorgerechtsstreit; ein knapper Artikel, der sein Erscheinen in der Washington Post vermutlich Kelseys Großvater väterlicherseits, einem hohen Beamten des Finanzministeriums, verdankte. Mit gemischten Gefühlen las sie die Namen – ihren eigenen, den von Naomi und den ihres Vaters. Die Post hatte diesen familiären Zwistigkeiten keine allzu große Aufmerksamkeit gewidmet.
Ab und zu war ein Artikel über Three Willows und Galopprennen erschienen. Einer davon berichtete über den tragischen Unfall eines vielversprechenden Hengstes, der während eines Rennens zusammengebrochen war und erschossen werden mußte. Ein Foto zeigte Naomis schönes, mit Tränen überströmtes Gesicht.
Doch dann kamen Berichte über den Mord.
Solchen Ereignissen wurde mehr Platz eingeräumt, zumindest waren sie immer gut für fette Schlagzeilen.
STREIT EINES LIEBESPAARES ENDETE IN EINER TRAGÖDIE
BRUTALER MORD IM IDYLLISCHEN VIRGINIA
Ihre Mutter wurde beschrieben als eine von ihrem Mann, einem in Georgetown ansässigen Professor für Englisch, getrennt lebende Frau und Tochter eines bekannten Züchters von Vollblutpferden, das Opfer wurde als ein Playboy mit Verbindungen zur Rennsportszene bezeichnet.
Die Ereignisse sprachen für sich. Alec Bradley wurde in
einem Schlafzimmer auf der Three-Willows-Farm erschossen. Die Tatwaffe gehörte Naomi Chadwick Byden, die die Polizei benachrichtigt hatte. Zur Zeit des Mordes hatte sie sich mit Bradley allein im Haus befunden. Die Polizei hatte die Ermittlungen aufgenommen.
Die in Virginia erschienenen Zeitungen lieferten genauere Informationen. Naomi hatte nie bestritten, den tödlichen Schuß abgegeben zu haben, und ließ durch ihren Anwalt erklären, Bradley habe sie angegriffen, und sie habe in Notwehr zur Waffe gegriffen.
Der Artikel ging noch auf die freundschaftliche Beziehung zwischen Naomi und Bradley ein, die seit Wochen häufig zusammen gesehen worden waren, und natürlich auf die Tatsache, daß Naomi zur selben Zeit einen erbitterten Rechtsstreit um das Sorgerecht für ihre dreijährige Tochter ausfocht.
Eine Woche nach dem Mord gab es neue Schlagzeilen.
NAOMI CHADWICK UNTER MORDVERDACHT FESTGENOMMEN
Neue Beweise lassen Zweifel an Notwehr aufkommen
Und diese Beweise waren erdrückend. Kelsey gefror das Blut in den Adern, als sie von einem Foto las, das ein von den Anwälten ihres Vaters beauftragter Detektiv aufgenommen hatte. Der Detektiv, der Beweise für Naomis angeblich lockeren Lebenswandel sammeln sollte, war dabei Zeuge des Verbrechens geworden. Davon hatte er ein Foto gemacht.
Der Detektiv hatte auch bei dem Prozeß ausgesagt. Kelsey zwang sich zum Weiterlesen. Zeugen hatten unter Eid zu Protokoll gegeben, daß Naomi und Bradley in der Öffentlichkeit sehr vertraut miteinander umgegangen seien. Daß Naomi eine ausgezeichnete Schützin sei; daß sie Partys, Champagner und die Aufmerksamkeit der Männer liebte; daß sie und Bradley am Abend des Mordes eine heftige Auseinandersetzung gehabt hätten wegen seines Flirts mit einer anderen Frau.
Dann wurde Charles Rooney, ein im Staat Virginia zugelassener Privatdetektiv, in den Zeugenstand gerufen. Er hatte dutzendweise Fotos von Naomi geschossen; auf der Rennbahn, auf der Farm, bei zahlreichen gesellschaftlichen Anlässen, und seine Berichte über die Beschattung waren minutiös dokumentiert.
Es entstand das Bild einer rücksichtslosen, leichtfertigen Frau, die nur ihr Vergnügen suchte und es kaum erwarten konnte, die Fesseln
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