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Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)

Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)

Titel: Schatten über den Weiden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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beabsichtigte, sie zu ärgern, gelang ihm das vortrefflich. »Du hast Klavierunterricht, Schwimmen und Reiten vergessen.«
    »Gehört alles zum Gesamtbild. Abschlußball, College deiner Wahl und als Krönung eine Riesenhochzeit.«
    »Und als Höhepunkt eine lange, nervenzermürbende Scheidung. Wie sieht’s bei dir aus, Slater?«
    »Du hast ja keine Ahnung, wo ich herkomme, Kelsey. Ich will es dir erzählen, aber du wirst es nicht verstehen.«
    Er würde es ihr erzählen, entschied er. Und dann sehen, wie die Würfel fielen.
    »Es gab Tage, da bin ich nicht hungrig ins Bett gegangen. Das waren die Tage, an denen genug Geld für Essen übrigblieb oder an denen ich etwas stehlen oder erbetteln konnte. Kinder sind gute Diebe oder Schnorrer«, fügte er hinzu und beobachtete sie scharf. »Entweder haben die Erwachsenen Mitleid mit ihnen, oder sie übersehen sie.«
    »Viele Menschen geraten einmal in die Situation, wo sie um Geld bitten müssen«, gab Kelsey vorsichtig zu bedenken. »Deswegen muß sich keiner schämen.«
    »Das sagst du, weil du noch nie um Almosen bitten oder welche annehmen mußtest.« Die Eiswürfel in seinem Becher klirrten, ehe er ihn abstellte. »Nachts habe ich mir den Krach im Nebenzimmer angehört – oder besser, versucht, ihn zu überhören. Meine Mutter weinte. Die Nachbarin verdiente sich etwas damit, daß sie einen Kerl mit aufs Zimmer nahm. Wenn ich Glück hatte, wachte ich im selben Bett auf, in dem ich eingeschlafen war. Machmal kam meine Mutter mich mitten in der Nacht wecken, und wir schlichen uns davon, ehe wir rausgeworfen wurden, weil mein Vater das Geld für die Miete wieder mal beim Spielen verloren hatte.«
    Vor Kelseys Augen erschien ein düsteres Bild. »Wo bist du denn aufgewachsen?«
    »Überall und nirgends. Vielleicht in Chicago oder Reno oder Miami. Im Winter hielten wir uns im Süden auf, weil dort das Wetter besser war und die Rennsaison länger dauerte. Die Plätze waren austauschbar. Wenn du pleite und auf der Flucht bist, sieht alles gleich aus. Natürlich hat der Alte immer gesagt, wir würden nur weiterziehen, daß er bald sein Glück machen würde. Meine Mutter schrubbte Klos, damit wir nicht verhungerten, und er nahm ihr das meiste Geld wieder ab und verpraßte es beim Pferderennen, beim Kartenspiel oder beim Wetten. Der wettete um alles, im Notfall sogar darauf, wie weit ein beschissener Grashüpfer springt.«
    Gabe erzählte seine Geschichte ganz leidenschaftslos, nur manchmal erschien ein Anflug von Verbitterung in seinen Augen. »Er hat gern beim Spiel betrogen, und meistens
kam er damit durch, und wenn nicht, kratzte meine Mutter genug Geld zusammen, um zu verhindern, daß er zusammengeschlagen wurde. Sie liebte ihn.« Das war die bitterste Pille, die er schlucken mußte. »Viele Frauen liebten Rich Slater.«
    Er aß weiter, als ob er sich selbst beweisen müßte, daß ihn all das nicht mehr berührte. »Er hat seine Frauen oft geschlagen. Manche kamen trotzdem immer wieder und trugen ihre blauen Augen und aufgeplatzen Lippen wie ein Markenzeichen. Meine Mutter war so eine Frau. Wenn ich versuchte, ihn aufzuhalten, hat er uns beide verdroschen. Sie hat mir das nie gedankt, sondern immer nur gemeint, ich würde nichts verstehen. Sie hatte recht«, fügte er hinzu. »Ich habe das nie verstanden.«
    »Es gab aber doch Institutionen, an die du dich hättest wenden können. Das Jugendamt, die Fürsorge oder die Polizei.«
    Gabe blickte sie schweigend an, sah ihren makellosen Teint und fühlte ihre ganz besondere Ausstrahlung. »Manche Menschen landen in der Gosse, Kelsey. Das ist das System.«
    »Ich finde das ungerecht. Gewisse Dinge sollte es einfach nicht geben.«
    »Du mußt nach Hilfe suchen, mußt fest erwarten, daß du sie findest. Meine Mutter tat das nicht, sondern sie nahm alles so hin, wie es war, erwartete nichts und bat um nichts.«
    Kelseys Augen, von Mitleid und Entsetzen verdunkelt, hielten ihn völlig gefangen.
    »Du warst doch noch ein Kind. Jemand hätte etwas . . . etwas unternehmen müssen.«
    »Glaubst du, ich wäre für Einmischung von außen dankbar gewesen? Ich bin von klein auf dazu erzogen worden, Polizisten zu meiden wie die Pest. Sozialarbeiter hielt ich für lästige Bürokraten, die nur darauf aus waren, mir Vorschriften zu machen. Manchmal ging ich zur Schule, manchmal nicht. Ich habe mich weiß Gott nicht darum gerissen, und meine Mutter besaß nicht mehr genügend
Kraft, um mir Beine zu machen. Also konnte ich meistens tun und

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