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Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)

Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)

Titel: Schatten über den Weiden: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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lassen, was ich wollte. Der Alte schleppte mich gern mit sich herum, so als eine Art Talisman. Und wenn ich ihn nicht aus den Augen ließ, gelang es mir wenigstens, daß etwas Geld zum Leben übrigblieb. Wenn er erst einmal betrunken war, kümmerte er sich nicht mehr darum.«
    »Hast du nie daran gedacht, einfach wegzurennen?«
    »Das schon. Aber ich meinte, bleiben zu müssen, damit er meine Mutter nicht zu Tode prügelte. Aber ob ich ihr damit einen Gefallen erwiesen habe? Meine Mutter starb schließlich im Armenhaus, an Lungenentzündung. Danach habe ich es noch ein halbes Jahr mit meinem Vater ausgehalten und das Geld verjubelt, das ich mir mit Jobs auf der Rennbahn verdient oder mir ergaunert hatte. Dann ging ich auf und davon. Damals war ich dreizehn.«
    Und groß für sein Alter, erinnerte er sich, und durchtrieben. Vor der Zeit erwachsen.
    »Der Alte hat mich ein paarmal aufgestöbert. Ich hatte ja damals schon die Vorliebe für Pferde, also landete ich gewöhnlich auf einer Rennbahn. Er fand das schnell heraus, und dann setzte es Prügel. Gewöhnlich konnte ich mich loskaufen.«
    »Loskaufen?«
    »Wenn Fortuna mir hold war, hatte ich die Taschen voller Geld. Ein paar Hunderter reichten aus, damit er selbst ein Spielchen riskieren oder in der nächsten Bar verschwinden konnte, wo er sich vollaufen ließ und ich meine Ruhe vor ihm hatte. Seitdem war der Preis allerdings gewaltig gestiegen. »Sobald ich ihn glücklich losgeworden war, fing ich wieder von vorne an, beherrscht von dem einen Gedanken, daß ich mir eines Tages etwas eigenes aufbauen würde und mir niemand mehr etwas anhaben konnte, er nicht und auch sonst niemand. Du ißt ja gar nichts.«
    »Das tut mir sehr leid.« Sie nahm seine Hand fest in die ihre. »Es tut mir wirklich leid, Gabe.«
    Ihr Mitleid wollte er nicht. Plötzlich wurde ihm klar,
daß er insgeheim gehofft hatte, sie würde sich entsetzt von ihm abwenden. Das hätte es ihm leichter gemacht, sich auch von ihr zurückzuziehen, und diese ungestüme Jagd nach einer ungewissen Zukunft hatte ein Ende gehabt.
    »Dann habe ich eine Zeitlang im Knast gesessen, weil ich in eine fingierte Pokerrunde geraten war und die Falle nicht rechtzeitig erkannt habe.« Er sah sie erwartungsvoll an, doch der erwartete Kommentar blieb aus. »Ich war zwar nur ein kleiner Fisch, aber ich wurde trotzdem eingelocht. Als ich wieder frei war, stellte ich es klüger an. Ich hab’ einige Betrügereien versucht, aber im Grunde genommen war ich eher ein Spieler als ein Gauner. Bei der Arbeit in den Ställen verdiente ich mir die nötigen Einsätze. Außerdem mochte ich die Pferde. Ich ließ mir nichts zuschulden kommen, weil ich nicht wieder ins Gefängnis wollte, und ich trank nichts, weil ich immer an meinen Alten denken mußte – vor allem an seinen Geruch. Dann hatte ich endlich Glück.«
    Er war am Ende seiner Geschichte, lehnte sich zurück und zündete sich eine Zigarre an. »Verstehst du mich jetzt besser?«
    »Vielleicht verstehe ich dich besser, als du denkst. Es muß ein Alptraum gewesen sein, mit einem Alkoholiker zu leben, der . . .«
    »Er ist nicht nur ein Alkoholiker«, unterbrach Gabe sie schroff, »er ist auch ein gemeiner, mieser Ganove, Kelsey. Keine noch so harte Entziehungskur könnte etwas daran ändern, daß er ein Säufer ist, einer, der sich an jedem vergreift, der schwächer ist als er, besonders natürlich an Frauen. Und das war kein Alptraum, sondern das wirkliche Leben, mein Leben.«
    Kelsey entzog ihm ihre Hand. »Dir wäre es wohl lieber, wenn ich dich nicht verstehen würde, oder?«
    Gabe hatte nicht damit gerechnet, daß einfache Teilnahme so viele Erinnerungen und die damit verbundenen Gefühle an die Oberfläche schwemmen würde. »Richtig. Mir wäre es lieber gewesen, wenn du mich so genommen hättest, wie ich bin.«
    »Wir sind jeder das Produkt unserer Erziehung, Gabe, so oder so. Ich beurteile die Menschen nicht nach dem äußeren Schein. Und wenn du mich wirklich willst, mußt du dich daran gewöhnen, daß ich an deinem Leben teilhabe.«
    Er drückte seine Zigarre aus. »Das klingt ja wie ein Ultimatum.«
    »Das ist es auch.« Kelsey schob ihren Teller von sich und griff nach ihrer Jacke. »Wir haben noch eine lange Heimfahrt vor uns, deshalb sollten wir uns besser auf den Weg machen.«
     
    Der kleine Junge, dessen Kindheit von Betrug und Gaunereien bestimmt gewesen war, würde ihr noch viel Stoff zum Nachdenken geben. Ein Kind, dessen Schlaflieder aus dem Gestöhne der

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