Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)
wäre hoffentlich glücklich und erleichtert.
Als sie die Auffahrt entlangfuhr, sah sie ihren Vater, der an einem Blumenbeet arbeitete. Er trug einen alten Pullover mit Flicken an den Ellbogen und erdige Stiefel und pflanzte die bereits knospenden Azaleen. Plötzlich von Liebe zu ihrem Vater überwältigt, sprang Kelsey aus dem Auto und rannte über den gepflegten Rasen, um ihn zu umarmen. So blieben sie einen Moment stehen und bewunderten die neu angepflanzte Pracht.
»Ich liebe dieses Haus«, murmelte Kelsey, den Kopf an die Schulter ihres Vater gelehnt. »Erst vor kurzem ist mir so richtig bewußt geworden, welches Glück ich hatte, hier aufwachsen zu dürfen.« Sie dachte unwillkürlich an Gabe und strich abwesend über eine lachsfarbene Blüte. »Wie glücklich ich war, dich zu haben, eine Veranda mit vielen Blumen.« Sie lächelte leicht. »Und Ballettstunden.«
»Nach sechs Monaten hast du die Ballettstunden bereits gehaßt«, erinnerte er sie.
»Trotzdem war ich glücklich, daß ich welche bekommen habe.«
Philip musterte sie nachdenklich, dann strich er ihr über das Haar: »Ist alles in Ordnung, Kelsey?«
»Ja.«
»Wir haben uns Sorgen um dich gemacht. Dieser neuerliche Vorfall . . .«
»Ich weiß«, unterbrach sie. »Schrecklich, was diesen zwei Männern zugestoßen ist. Ich kann dir aber sagen, daß mich all das nichts angeht, ich nichts damit zu tun habe. Mir geht’s gut.«
»Davon wollte ich mich persönlich überzeugen, Telefonate sind da nichts.« Er suchte seine Gartenuntensilien zusammen und legte sie in einen Drahtkorb. »Jedenfalls bist du jetzt zu Hause, und nur das zählt. Laß uns lieber hinten reingehen, sonst zieht Candace mir das Fell über die Ohren, weil ich ihre Fußböden dreckig mache.«
Kelsey legte den Arm um ihren Vater, als sie zum Haus gingen. »Da ist ja Großmutters Wagen!«
»Ja, Candace hat sie angerufen, weil du kommen würdest. Sie sitzen drinnen und besprechen die Pläne für den Wohltätigkeitsball im Frühling.« Er schenkte ihr ein mitfühlendes Lächeln. »Ich fürchte, ganz oben auf ihrer Liste steht die schwere Aufgabe, für dich einen Begleiter zu finden.«
Unbewußt zuckte Kelsey zusammen, doch dann fiel ihr etwas ein. »Der Frühlingsball. Findet der nicht im Mai statt?«
»Ja, am ersten Samstag.«
An diesem Tag kehrte der Frühling in Kentucky ein. Es war der Tag des Derbys. Vermutlich würde ihr Fernbleiben vom Ball ihren Verfehlungen hinzugefügt werden.
»Dad«, sie wartete, bis er seinen Werkzeugkorb in der kleinen Abstellkammer verstaut hatte. »An dem Wochenende bin ich nicht da.«
»Du bist nicht da?« Philip ging durch die Küche, um sich die Hände zu waschen. »Aber Kelsey, du hast keinen Frühlingsball verpaßt, seitdem du sechzehn bist.«
»Das weiß ich, aber trotzdem habe ich diesmal etwas anderes vor.« Ohne etwas darauf zu erwidern, trocknete sich Philip die Hände ab. Er war bereits enttäuscht. »Ich habe andere Pläne«, wiederholte sie. »Beim Tee erzähle ich euch alles ganz genau.«
»Na gut.« Bemüht, sich seine Besorgnis nicht anmerken zu lassen, ging Philip mit seiner Tochter ins Wohnzimmer.
Dort saßen Candace und Milicent bereits beim Tee und unterhielten sich angeregt. Kelsey schnupperte unauffällig. Jasmintee, stellte sie fest. Um diese Zeit schlang sie gewöhnlich irgend etwas Ungesundes, Lauwarmes hinunter und spülte mit starkem schwarzem Kaffee nach.
Ihr Geschmack hatte sich in vieler Hinsicht rasch geändert.
»Kelsey.« Freudig lachend erhob sich Candace, um ihre Stieftochter auf beide Wangen zu küssen. Kelsey stieg ein leichter Duft nach L’Air du Temps in die Nase, vermischt mit dem Geruch des Tees und dem Markenzeichen ihrer Großmutter, Chanel.
Salondüfte, dachte Kelsey. Mittlerweile war ihr der Stallgeruch entschieden vertrauter. Fast entschuldigend umarmte sie Candace etwas enthusiastischer als sonst.
»Du sieht ja großartig aus. Neue Frisur?«
Verlegen zupfte Candace an ihren kurzen Kringellöckchen. »Findest du es zu jugendlich? Ich schwöre dir, Princeton kann mir alles aufschwatzen.«
»Es steht dir ausgezeichnet«, versicherte ihr Kelsey, der plötzlich in den Sinn kam, daß sie selbst seit Wochen weder bei Princeton noch bei sonst einem Friseur gewesen war. »Hallo, Großmutter.« Die Begrüßung wie auch der obligatorische Kuß auf die Wange waren eher Ausdruck eines Pflichtgefühls als echter Herzlichkeit. »Du siehst auch gut aus.«
»Wie ich sehe, hast du ein bißchen zugenommen.«
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