Schatten über Oxford
ihr zurück. Miss Marlyn schien sich darüber zu amüsieren und sprach ganz sanft mit ihnen.
»Das ist euer Onkel Alan«, erinnerte sie die Kinder. »Ihr werdet doch wohl nicht die Schüchternen spielen?« Schließlich wagte sich Chris von ihr fort und trat einen Schritt auf mich zu. Susie folgte ihm, allerdings deutlich zurückhaltender.
Jemand musste sie kürzlich gewaschen haben. Ihre Haut glänzte rosa, und ihre Haare klebten in der Hoffnung, einen ordentlich gekämmten Eindruck zu machen, an ihren Köpfen. Chris trug kurze grauen Flanellhosen, die zu seinem Schulanzug gehörten, und eine dunkelblaue Jacke mit Gürtel. Susies feuchtes Haar war zu zwei winzigen Zöpfchen mit blauen Schleifen zusammengebunden worden; sie trug ebenfalls ihre Schuluniform, die aus grauem Faltenrock und dunkelblauer Jacke bestand. Wahrscheinlich hatten sie das angezogen, was ihnen am schönsten erschien.
»Hallo Kinder!«, begrüßte ich sie mit meiner heitersten Onkel-Stimme. Chris lächelte mir verhalten zu, Susies Gesichtchen wirkte noch immer wie versteinert. Doch sie war schon immer sehr zurückhaltend gewesen.
Das war der Moment, in dem Miss Marlyn mich zu einer Tasse Tee in die Küche einlud. Vermutlich hatte sie bemerkt, wie unbeholfen wir miteinander umgingen. Ich fühlte mich erleichtert, denn vielleicht würde es helfen, das Eis zu brechen. Die Kinder waren seit dem vergangenen Juli in High Corner untergebracht und fühlten sich hier möglicherweise längst mehr zu Hause als daheim in der Reckitt Street. Ich hätte ihnen bestimmt keine Vorwürfe gemacht, wenn sie dieses warme, bequeme Haus nie wieder hätten verlassen wollen.
Miss Marlyn ging voraus, ich folgte ihr.; und die Kinder schlurften hinter uns her. Als wir an dem Porträt der Frau vorbeikamen, die ich für ihre Schwester gehalten hatte, drehte sie sich zu mir um. »Das ist meine Tante Margaret. Sie hat mir dieses Haus hinterlassen. Es ist seit seiner Erbauung im Familienbesitz.«
»Ein schönes Haus«, erwiderte ich lahm. Doch Miss Marlyn war längst weitergegangen, als hätte sie schon zu viel gesagt. Ich folgte ihr durch eine der Türen, die aus der Eingangshalle hinausführten, einen Flur hinunter in die Küche. Während die Kinder und ich uns an einen gescheuerten Holztisch niederließen, hängte sie meine Jacke an den Herd, um sie ein wenig zu trocknen, auch wenn sie immer noch feucht sein würde, wenn ich sie wieder anzog. Wie entgegenkommend, dachte ich. Zwar war sie nicht unbedingt der hausfrauliche Typ, doch wir alle hatten uns im Krieg umstellen müssen, und Leute wie Miss Marlyn bildeten da wohl keine Ausnahme.
Die Küche wirkte ein wenig finster mit ihren Steinwänden, der hohen Decke und kleinen Fenstern, doch der Herd sorgte für Gemütlichkeit. An den Wänden hingen Aluminiumpfannen, Kupfertöpfe und Siebe, die vermutlich zur Herstellung von Marmelade gedacht waren. Der Boden bestand aus Natursteinfliesen, auf die man Flickenteppiche gelegt hatte, um den düsteren Eindruck ein wenig aufzuheitern. Die Küche wirkte zwar nicht ausgesprochen edel, doch sie unterschied sich deutlich von unserer Küche zu Hause mit der bedruckten Tischdecke und dem Luftzug, der unter der Hintertür hindurchdrang und die Beine bis zu den Knien taub werden ließ. Weil wir nie genug Kohle hatten, machten wir immer erst um sechs Uhr abends Feuer im Herd, wenn wir die Radionachrichten hörten.
»Ich fürchte, Sie werden die Kinder zum Essen ausführen müssen, Mr Barnes«, sagte Miss Marlyn und sah mir zu, wie ich mein Korinthenbrötchen vertilgte. Mir wurde klar, dass sie von dem versprochenen Mittagessen sprach. »Ich habe in einer Stunde eines meiner Komiteetreffen, und anschließend muss ich mich um meinen Garten kümmern.«
Sie sah aus, als würde ihr der Garten mehr Freude bereiten als das Treffen im Komitee, obwohl ich mir beim besten Willen nicht vorstellen konnte, was sie an einem so lausigen und regnerischen Januartag in ihrem Garten tun wollte. Und dann stellte ich mir diese Damen vor, wie sie in Kostümen und mit Hüten um einen Tisch saßen und von Miss Marlyn in schlammbespritzten Cordhosen befehligt wurden, und musste bei diesem Gedanken lächeln.
»Gut«, sagte Miss Marlyn, die mein Lächeln sah, den Grund dafür aber falsch deutete. »Es ist mit Sicherheit auch angenehmer für Sie und die Kinder, wenn Sie gemeinsam etwas unternehmen und sich dabei wieder besser kennen lernen. Soviel ich weiß, gibt es ein Stück die Straße hinunter ein recht
Weitere Kostenlose Bücher