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Schatten über Oxford

Titel: Schatten über Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Stallwood
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eigens zu diesem Zweck beschönigt worden waren.

3
    Als ich in der Armitage Road ankam, waren meine Schuhe völlig durchweicht. Regenwasser tropfte in meinen Kragen. Das Haus trug den Namen High Corner. Als Erstes bemerkte ich zwei helle Ovale in einem der Fenster. Chris und Susie. Der Anblick der beiden ängstlichen Gesichter hinter dem Glas ließ mich nicht länger bereuen, in diesen Besuch eingewilligt zu haben. Die armen Kerlchen hatten sicher schon stundenlang Ausschau nach mir gehalten und sich auf mich gefreut. Trotzdem grollte ich innerlich. Ich war einfach nicht bereit, die ganze Verantwortung für ihr Glück zu tragen. Nie hätte man das von mir verlangen dürfen.
    Susie entdeckte mich zuerst, und sofort strahlte sie über beide Wangen. Chris hatte die Hand auf ihre Schulter gelegt, als wolle er sie unter Kontrolle halten.
    Ich hängte mir den Rucksack bequemer über die Schultern, zwang mich zu einem Lächeln und ging den Gartenweg hinauf. Es ist mein sonniges Gemüt , das mich weitermachen lässt .Die Erinnerung an das Unterhaltungsprogramm vom Vorabend verwandelte mein gekünsteltes Lächeln in ein echtes.
    Irgendwo hinter dem Haus hörte ich ein Huhn ga ckern. Sie hatten also frische Eier. Zu Hause in der Reckitt Street hatte eine Frau versucht, Enten zu halten – wegen der dickeren Eier, wie sie sagte –, doch die armen Viecher starben samt und sonders am Herzschlag, als die Luftangriffe begannen.
    Der Vorgarten hatte gerade die richtige Größe. Ein im Fischgrätmuster verlegter Gartenweg führte zur Eingangstür. An einer Seite des Hauses hatte man eine kleine Garage angebaut, deren neue Ziegel einen deutlichen Kontrast zu den wettergegerbten Steinen des Hauses bildeten. Früher mochte der Garten aus einem ordentlichen Rasen und einigen ehrwürdigen Büschen bestanden haben, doch jetzt war das Gelände umgegraben und bot einen traurigen Anblick mit den wenigen vergilbten Rosenkohlpflanzen und den spärlichen Kohlköpfen, deren äußere Blätter von Schnecken und Maden zu einer Art Spitzengewebe zerfressen worden waren. Allerdings hatte man nicht alle Zierpflanzen ausgerissen. Ich entdeckte eine Zwergmispel, eine Art Farn und Immergrün. Es würde sicher nicht lange dauern, dem Garten seine Vorkriegsschönheit zurückzugeben, sobald der Spuk endlich vorüber war. Ganz im Gegensatz zum Süden von London, wie mir scheinen wollte. Bestimmt würde es noch einige Jahre brauchen, ehe wir in der Reckitt Street zur Normalität zurückkehren konnten.
    Ich winkte den Kindern und läutete an der Haustür. Die weißen Gesichter verschwanden. Ich wartete. Aus der Regenrinne tropfte Wasser auf meinen Kopf, daher trat ich einen Schritt nach vorn. Mein Gesicht befand sich nur wenige Zentimeter von der Tür entfernt. Schließlich wurde sie geöffnet, und ich stand Auge in Auge mit einer Frau. Sie war zwar nicht mehr jung, doch ihr Gesicht faszinierte mich. Sie ließ ihren Blick über meine verwahrloste Erscheinung gleiten, bis ich mich minderwertiger fühlte als eine ertrunkene Ratte – denn so ähnlich musste ich auf sie wirken, was mir ganz und gar nicht gefiel. Ich zwang mich, meinen Blick nicht abzuwenden, und erkannte, dass sie beeindruckt war. Ihr Mund war übrigens nicht scharlachrot angemalt.
    Sie trug das Haar aus dem Gesicht gekämmt und hatte es im Nacken zu einem Knoten geschlungen, als ob ihr völlig egal wäre, wie sie aussah. Trotzdem konnte ich feststellen, dass ihre Haare dicht, lockig und vermutlich schwierig zu kämmen waren. Ein paar Silbersträhnen mischten sich in das Dunkelbraun, doch sie waren kaum sichtbar. Einen Augenblick lang fragte ich mich, wie die Frau wohl mit offenem Haar aussehen würde, wenn sich die Locken um ihr arrogantes Gesicht mit der schimmernden Haut und den Haselnussaugen ringelten, aus denen sie mich unter dunklen Wimpern hervor anstarrte. Tiefe Linien zogen sich von ihren Nasenflügeln zu den Mundwinkeln, und die senkrechten Falten zwischen den Augenbrauen verliehen ihr ein missbilligendes Aussehen. Doch dann lächelte sie, und das Lächeln hellte ihr Gesicht auf und ließ sie mit einem Schlag um viele Jahre jünger wirken. Etwas in ihrem Ausdruck ließ darauf schließen, dass sie sich der Wirkung ihres Lächelns bewusst war und es gern zu ihrem Vorteil einsetzte. Es verwandelte sie in eine attraktive Frau.
    »Ich bin Miss Marlyn«, sagte sie, als wäre es das Wichtigste, das man wissen müsste, und möglicherweise traf dies in ihrem Umfeld auch zu. Sie sah aus, als

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