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Schatten über Oxford

Titel: Schatten über Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Stallwood
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der anderen Zuschauer entnahm ich, dass ich nicht als Einziger das Gefühl hatte, übers Ohr gehauen worden zu sein. Aber was hätte ich den beiden Kindern sonst an diesem Winternachmittag bieten können? Das Wetter eignete sich absolut nicht für einen Spaziergang im Park.
    Man zeigte irgendeinen lustigen Film. Mich beeindruckte er wenig, aber die Kinder amüsierten sich, und zumindest hatten wir es warm. Gott sei Dank verpassten wir die Wochenschau und blieben auch nicht sitzen, als die Vorstellung wieder von vorn begann. Von der Realität hatte ich wirklich genug. Lieber bemühte ich mich, den Humor des Will-Hay-Films zu verstehen.
    Im Anschluss gingen wir noch einmal ins Restaurant zurück. Ich bestellte eine Tasse Tee für mich und Limonade für die Kinder. Sie fragten mich nach Sheila aus, und ich tischte ihnen eine Menge Lügen auf.
    »Warum kommt sie nicht her und wohnt hier mit uns?«, fragte Chris. »Wir würden sicher eine Wohnung für uns drei finden.« Dann erinnerte er sich seiner guten Manieren und fügte hinzu: »Entschuldigung, ich meine natürlich für uns vier. Ich habe solche Wohnungen schon gesehen. Sie kosten nur ein paar Schilling in der Woche.«
    Was hätte ich darauf antworten sollen? Für Chris und Susie lag die Sache klar auf der Hand, doch Sheila wollte nicht, dass die Kinder sie in ihrem derzeitigen Zustand sahen, und wollte auch nicht so abhängig von ihnen werden, wie sie es bereits von mir war. Sie wollte nicht, dass sie morgens von ihren Hustenanfällen geweckt würden. Friedhofshusten nannte ich diese Anfälle, allerdings nicht ihr gegenüber. Sie war davon überzeugt, dass die Krankheit sich irgendwann bessern würde, wie sie es schon erlebt hatte, und dass sie sich bald wieder stark genug fühlen würde, um Bäume ausreißen zu können. Zumindest behauptete sie das. Ich jedenfalls war der Ansicht, dass man die Kinder vor den Geräuschen und dem Anblick ihrer sterbenden Mutter schützen musste. Heute bin ich mir dessen nicht mehr so sicher. Wen wollten wir damals vor der Wahrheit schützen – die Kinder oder uns selbst?
    »Außerdem gibt es hier auf dem Land gutes Essen«, sagte Chris. »Ich habe es selbst gesehen.«
    Ich erinnerte mich mit Grausen an die fette Scheibe Lammbraten, die wir zu Mittag gegessen hatten, wollte dem Jungen aber nicht widersprechen. Er bemühte sich so sehr. »In London ist es leichter für sie, an etwas zu essen zu kommen. Außerdem ist es in London wärmer«, erklärte ich. »Hier auf dem Land kommt es mir viel kälter vor. Und die Ladenbesitzer in London kennen eure Mama und tun ihr Bestes für uns.« Vielleicht hatte ich in dieser Hinsicht sogar Recht, doch wenn ich getan hätte, was Chris sich so sehr wünschte, hätten wir wenigstens die letzten Monate zusammen verbringen können.
    Ich kann mir heute kaum verzeihen, dass ich in der folgenden Woche nicht noch einmal nach Oxford fuhr, um die Kinder zu besuchen. Vielleicht hätte ich mir sogar ein Zimmer nehmen können. Möglicherweise hätte ich die Situation eher erfasst, wenn ich in der Nähe gewesen wäre. Ich hätte den Kindern besser zuhören sollen, anstatt das zu glauben, was bequem schien. Außerdem hätten wir sie zumindest an Weihnachten ein oder zwei Wochen zu uns holen sollen, doch zu diesem Zeitpunkt war Sheila nicht in der Lage gewesen, sich um zwei Kinder zu kümmern, und mir ging es nicht viel besser. Ich musste mich noch immer von den vielen Wochen der Flucht erholen. Immer noch schlief ich nachts nicht, weil ich ängstlich auf das Auftauchen imaginärer Deutscher wartete, während die nur allzu wirklichen V2-Raketen uns zwangen, in düsteren Luftschutzkellern zu kauern. Der Arzt meinte, ich solle eines dieser modernen Stärkungsmittel ausprobieren, doch ich glaube, eine halbe Flasche Whisky, der bei Dobson’s unter der Ladentheke verkauft wurde, leistete mir bessere Dienste. Zumindest schenkte er mir für ein paar Stunden Vergessen. Mehr wollte ich gar nicht.
    Als wir nach High Corner zurückkamen, öffnete Miss Marlyn uns die Tür. Dieses Mal bat sie mich nicht mehr herein. Sie stand einen Augenblick lang da, auf jedem Kinderkopf eine Hand, als wolle sie die beiden segnen oder mir bedeuten, dass sie von jetzt an zu ihr gehörten.
    »Sagt eurem Onkel Alan auf Wiedersehen«, forderte sie die Kinder auf.
    »Auf Wiedersehen, Onkel Alan«, sagten sie gehorsam im Chor.
    »Ich bin sicher, dass bei euch zu Hause bald alles wieder in Ordnung ist«, bekräftigte sie. »Und dann geht ihr

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