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Schatten über Oxford

Titel: Schatten über Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Stallwood
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einfach nicht leisten, noch länger nichts von sich hören zu lassen, liebste Kate. Die Leute werden Sie nur allzu bald vergessen haben, und ich werde die größten Schwierigkeiten bekommen, einen Verleger zu überzeugen, auch nur einen Blick auf eins Ihrer Manuskripte zu werfen. Sie würden ein Pseudonym annehmen müssen und so tun, als wären Sie jung und aufregend. Und das wollen Sie doch nicht, oder?«
    Kate musste zugeben, dass es ihr schwerfallen würde, sich als jugendliche, aufregende Persönlichkeit neu zu erfinden.
    »Warum setzen Sie sich nicht an Ihren Schreibtisch und widmen sich wieder der Arbeit? Sie würden sich sicher ganz schnell besser fühlen. Wissen Sie was? Rufen Sie mich doch in einer Stunde zurück und präsentieren Sie mir eine richtig gute Idee für ein neues Buch.«
    So war Estelle. Eine Idee aus dem Boden stampfen – einfach so, aus dem Nichts – und zurückrufen. Als ob das so leicht wäre!
    Seit der beinahe tödlich verlaufenen Messer-Attacke in der Christ Church fühlte sich Kate wie in einer lähmenden Lethargie gefangen. Doch es war nicht nur die hässliche rote Narbe über ihren Rippen, der Schmerz in ihrer Seite oder die Tatsache, dass sie ermüdete, wenn sie länger als einige Minuten in ihrer gewohnt raschen Art zu Fuß ging. Was viel schlimmer war: Sie fühlte sich, als hätte jemand in ihrem Kopf einen Schalter umgelegt. Während der Wochen im Krankenhaus und der anschließenden Monate der Rekonvaleszenz hatte sich ihre Persönlichkeit verändert. Die strahlende, selbstsichere, aktive Kate war verschwunden und hatte einer blassen, unbeteiligten Frau Platz gemacht. Sie fühlte sich wie eine Fremde im eigenen Körper und verstand durchaus, warum die anderen allmählich ungeduldig mit ihr wurden.
    Vor einiger Zeit hatte sie einen ernsthaften Schreibversuch unternommen. Minutenlang hatte sie auf den leeren Bildschirm gestarrt, ehe sie sich zu Tetris verleiten ließ – dem einzigen Computerspiel, das zu spielen ein Schriftsteller zugeben durfte. Sie hatte sogar versucht, mit der Hand in ein hübsches Notizbuch zu schreiben – normalerweise ein unfehlbares Mittel, ihre Kreativität zu aktivieren. Doch sie brachte nicht mehr zustande als eine weitere Beschreibung der Aussicht aus ihrem Fenster, ehe sie sich in einer Analyse ihrer Gefühlslage verlor. Nachdem sie dem Heft anvertraut hatte, dass sie vor allem und jedem Angst hatte, sogar vor ihren eigenen, über die Zeilen kriechenden Worten, blieb nicht viel mehr zu sagen. Nach ein oder zwei Seiten gab sie es wieder auf. Weder zündende Ideen noch lebhafte Bilder oder fesselnde Plots. Es hatte einfach keinen Sinn. Hinzu kam, dass sie sich nicht aufraffen konnte, auszugehen, Dinge zu entdecken oder mit Leuten zu sprechen, um später mit dem Erlebten eine Szene oder einen Charakter auszuschmücken. Sie hatte keine Lust, das Haus zu verlassen, noch nicht einmal das Zimmer, in dem sie es sich mit einer Tasse Kaffee und einem guten Roman bequem gemacht hatte. Solange du hierbleibst , bist du in Sicherheit . Es war nicht nötig, sich anzustrengen. Dieser Sessel hier war der einzige Ort, an dem sie sein wollte. Nie wieder wollte sie sich auf die Straße hinauswagen und sich dem Risiko aussetzen, angegriffen zu werden. Die Welt war gefährlich, und das galt auch für diesen kleinen, angeblich zivilisierten Teil von ihr, der sich Oxford nannte.
    Oft dachte Kate über die Frau nach, die versucht hatte, sie zu töten. Sie hatte bestimmt nicht wie ein Monster ausgesehen, zumindest nicht auf den ersten Blick. Eine unscheinbare Frau war sie, an der man auf der Straße ohne Weiteres vorbeilaufen würde, abgesehen davon, dass man vielleicht zur Seite treten musste, um ihrer Körperfülle nicht im Weg zu stehen. Und dann ihre Augen – sie bohrten sich geradezu in die Augen ihres Gegenübers. Wut stieg in Kate auf. Das Gefühl flackerte wie eine kleine gelbe Flamme, die sich allerdings schnell in einen gefräßigen Flächenbrand verwandeln konnte, wenn Kate es nicht verhinderte. Wenn sie solche Impulse weiterhin zuließ, würde sie die Kontrolle über einen Teil von sich verlieren. Doch was wäre die Folge? Kate spürte, dass sie zu allem fähig wäre, wenn sie sich gestattete, ihrem mörderischen Zorn Raum zu geben.
    Glücklicherweise klingelte das Telefon schon wieder. Dieses Mal war es ihre Mutter Roz.
    »Kate?«
    »Kann schon sein«, gab Kate zurück. Einen verwegenen Augenblick lang überlegte sie, ob sie so tun könnte, als wäre sie

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