Schatten über Sanssouci
Zeit brauchen. Das Instrument konnte bis
morgen Mittag fertig sein, aber das neue Musikstück … Ein Gefühl der
Ohnmacht überfiel ihn, das auch die letzten Reste der Euphorie vertrieb. In
seinem Kopf war nur Dürre. Da war nicht die geringste Idee.
Er ging zurück zu
seinem Sessel und ließ sich nieder. Da fiel sein Blick auf die kleine Flasche,
die Sophie mitgebracht hatte.
Sie hatte nicht nur
mit diesen Schriften reiche Beute gemacht, sondern auch die Opiumtinktur
mitgehen lassen, die das Geheimnis von La Mettries unglaublicher Produktivität
sein musste.
Quantz stellte sich
vor, seine Musik zu schreiben wie der Franzose seine Abhandlungen. Ein Sturz
von Noten auf das Papier zu bringen wie ein Wasserfall. Ein Konzert, das in der
kurzen Zeit fertig war, die man brauchte, um es nur hinzuschreiben. Also in
etwa zwei, drei Stunden. In rasender Eile, gepackt von wahren Strudeln der
Inspiration.
Aber wie wirkte
dieses Opium? Konnte es Einfälle eingeben? Wie war das möglich?
Er nahm die Flasche
in die Hand, bewegte sie ein wenig und ließ die dunkle Flüssigkeit darin
herumschaukeln.
In seinem langen
Leben als Komponist war es ihm schon oft so vorgekommen, als fände nicht er die
Ideen für neue Werke, sondern als kämen die Ideen zu ihm – wenn er ihnen die
Möglichkeit ließ. Denn manchmal war ihm, als hätte er selbst Schuld daran, dass
die Tore, durch die ihm die Einfälle zuflogen, verschlossen waren. Aber es
gelang ihm nur unter großer Mühe, sie zu öffnen. Wenn ihn nichts ablenkte. Wenn
ihm nichts Angst machte. Wenn er gelassen in sich ruhte. Wenn er sich
einbildete, die Musik sei keine Arbeit und kein Dienst, sondern ein Spiel.
Opium, das ja
angeblich auch bei starken Schmerzen half, war nichts anderes als ein Mittel,
das zu dieser Entspannung führte. Ähnlich wie ein Glas Wein, das Quantz sich
gelegentlich genehmigte, wenn die Arbeit stockte. Allerdings vernebelte der
Wein ihm den Geist und verbesserte zwar seine Fähigkeiten auf der einen Seite,
auf der anderen jedoch schwächte er sie um dasselbe Maß.
Quantz musste alles
auf eine Karte setzen, bevor seine Feinde zum nächsten Schlag ausholten. Ihm
blieb nur diese Nacht, um das Opium zu versuchen. Wie auch immer es wirkte –
entweder hatte er morgen ein neues Konzert oder nicht. Wenn nicht, hatte er
nichts verloren. Wenn doch, hatte er La Mettrie mit dessen eigenen Waffen
geschlagen. Dieser Gedanke gefiel ihm außerordentlich.
Er öffnete die
Flasche, nahm ein leeres Weinglas vom Pult und ließ etwas von der Tinktur
hineinlaufen. Sicher war es besser, den Versuch nur mit einer kleinen Menge
durchzuführen.
Er hatte die
Flüssigkeit in La Mettries Glas gesehen. Bei dem Franzosen war es eine Lösung
mit einem rötlichen Schimmer gewesen. Quantz beließ es bei der kleinen Probe
und goss sie mit Wasser aus der Karaffe auf. Er ließ das Glas in seiner Hand
rotieren. Nun sah der Inhalt fast aus wie ein Roséwein, nur ein wenig
bräunlicher.
Er führte das Glas
zum Mund und steckte die Zunge in die Lösung. Die bittere Empfindung entfaltete
sich erst Sekunden später. Sie hinterließ einen Nachgeschmack nach süßlichen
Kräutern, der Quantz fremd und exotisch vorkam. Jedenfalls war er mit keinem
der Kräutertees zu vergleichen, die Sophie manchmal zubereitete.
Er setzte sich
wieder in den Sessel, das Glas in der Hand, die kleine Melodie vom Schreibpult
im Ohr. Immer wieder nahm er einen Schluck, unterdrückte das bittere Beißen und
nahm sich vor, erst dann mit klarem Wasser nachzuspülen, wenn er alles
getrunken hatte.
Die Melodie in
seinem Ohr wiederholte sich, drehte sich im Kreise. Immer und immer wieder. Sie
löste sich von dem Notenbild, das er gewöhnlich vor seinem inneren Auge sah,
wenn er sich Musik ausdachte. Er konzentrierte sich ganz auf den Klang. Ein
großes Streichorchester spielte mit vollem, sonorem Klang. Die Violinen glänzten
in hohen Lagen. Eben hatten die Musiker das Motiv noch in strahlendem D-Dur
gespielt, jetzt ließ er sie eine melancholische e-Moll-Version ausprobieren.
Dann eine in A-Dur, und – nach einer phantastisch klingenden, harmonischen
Verschiebung – nach C-Dur. Er beherrschte seine imaginäre Hofkapelle wie ein
Gott die Welt.
Warum habe ich immer
so sehr auf die Linien gestarrt beim Komponieren? Ich bin frei, ich allein bin
der Monarch im Reich der Klänge. Und ich beherrsche, was der König spielt. Ich
lasse ihn mit demselben Motiv einsetzen, lasse die königliche Flöte flattern
wie einen Vogel.
Ihm
Weitere Kostenlose Bücher