Schatten über Sanssouci
meine Küchenhilfe. Ich hoffe nur, dass du
ihnen nicht in die Hände läufst, wenn du nach Hause gehst.«
Sophie nickte nur.
Sie sagte nichts und spielte lieber die noch immer Erschreckte, obwohl sie sich
schon wieder erholt hatte.
Ein warmes Gefühl
von Stolz erfüllte sie. Sie hatte es geschafft, den Auftrag von Herrn Quantz
auszuführen.
Der Wirt packte
Schinken und Brot in einen Stoffsack und wollte ihn in Sophies Korb legen. Sie
konnte es gerade noch verhindern und nahm das Säckchen an sich.
»Danke, Herr
Schulze«, sagte sie. »Ich muss mich beeilen. Schreiben Sie es bitte an.«
Der Gastwirt nickte
nur und brachte sie zur Tür. Sophie schlüpfte hinaus und sah sich um. Die
Straße war leer.
***
Dem Gasthaus
schräg gegenüber erstreckte sich auf der anderen Seite des Kanals ein kleines,
parkähnliches Areal, hinter dem sich die Garnisonkirche erhob. Johannes Kilian
hatte sich in das Dunkel unter den Bäumen zurückgezogen und die Vorgänge vor
der »Goldenen Krone« beobachtet.
Dass sich Soldaten
über den Zapfenstreich hinaus in den Schenken aufhielten, anstatt ihre
Unterkünfte aufzusuchen, und dann von der Wache entdeckt wurden, kam immer
wieder vor. Mehr beschäftigte Kilian die Frage, was Quantz’ Magd in dem
Gasthaus gewollt hatte. Er hätte Rat Weyhe gern eine Erklärung präsentiert, die
– wie es Befehl war – den Musiker noch verdächtiger machte. Aber der Rat würde
sich damit zufriedengeben müssen, dass der Besuch der Magd im Gasthaus einen
ganz profanen Grund hatte. Wahrscheinlich hatte Herr Quantz sie einfach
ausgeschickt, um etwas zu essen zu besorgen.
Kilian überlegte, ob
er den Wirt befragen sollte. Oder das Mädchen, das er leicht noch einholen
konnte. Doch das wäre zu auffällig.
Jetzt rächte sich,
dass Rat Weyhe darauf bestanden hatte, dass seine Policeykräfte keine Uniformen
trugen. Eine Patrouille hätte ohne Weiteres danach fragen können, was das
Mädchen in dem Wirtshaus getan hatte. Doch wenn eine zivile Person so etwas
tat, wirkte das verdächtig. Und die Überwachung des Musikers durfte nicht
auffallen.
So beschränkte sich
Kilian darauf, die Magd zurück nach Hause zu verfolgen. Minuten später
beobachtete er von der Grünen Brücke aus, wie sie Quantz’ Haus betrat. Gut. Das
war es dann. Nun war noch dem Bruder Bericht zu erstatten. Und dann konnte er
auf sein Recht pochen, als Erster eine Mütze Schlaf zu nehmen. Er kontrollierte
noch einmal die Straße und verschwand in dem Dunkel des Abrisshauses.
17
Quantz
blätterte in den eng beschriebenen Seiten, die Sophie gebracht hatte. Es war
nicht nachzuvollziehen, ob die Fragmente zu einem Buch gehörten, das La Mettrie
gerade schrieb, oder ob er seine Gedanken auf das Papier geworfen hatte, wie
sie ihm kamen. Wahrscheinlich kam es auf dasselbe heraus, denn der Franzose
schien nicht besonders planvoll vorzugehen. Von vorangehenden Gliederungen
hielt er scheinbar nichts. Dafür waren die Texte gefährlich wie Schießpulver.
Quantz brauchte gar nicht nach Zitaten zu suchen, die dem Franzosen in vielen
Ländern der Welt den Kopf kosten konnten. Sie fanden sich in rauen Mengen,
wohin man auch sah.
Die
Menschen, die an ein jenseitiges Leben glauben, geben sich zweifellos
verführerischen Einbildungen hin, die sie über das Sterben trösten, und dies
tun sie umso intensiver, je unglücklicher sie in diesem Leben sind.
Herr La Mettrie
hielt den Glauben an das jenseitige Leben also nur für Einbildung? Wer so
dachte, der glaubte nicht an Gott, glaubte an keine höhere Moral, der glaubte
an nichts, nur an sich selbst. Konnte ein solcher Mensch die Autorität des
Königs anerkennen? Nein, eigentlich war auch das unmöglich.
Der Kammerherr La
Mettrie spielte ein falsches Spiel. Hier stand es schwarz auf weiß!
Wer
zuerst an seinen Körper denkt und dann an seinen Geist, der macht es wie die
Natur – und welche Richtschnur wäre verlässlicher als sie?
Das war ja noch
besser! Man sollte also den körperlichen Lastern den Vorzug vor der Nahrung des
Geistes geben.
Theologen
werden einwerfen: Wo kommen wir hin, wenn es weder Laster noch Tugend geben
soll, weder Gut noch Böse, weder Gerechtigkeit noch Ungerechtigkeit in einem
objektiven Sinn?
War das eine rein
rhetorische Frage? Oder stellte La Mettrie sie ernsthaft zur Diskussion? In
beiden Fällen war diese These eine Ungeheuerlichkeit. Es sollte weder Gut noch
Böse geben? Kein Laster und keine Tugend? Keine Gerechtigkeit und keine
Ungerechtigkeit? Also gab es auch
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