Schatten über Sanssouci
über den Fuß ihres Betschemels
gekreuzt, und ihren Kopf stützte sie auf die Arme. Ihr Hemd war sorgfältig bis
zum Gürtel aufgehoben, und ich konnte halb von der Seite ihren Hintern und eine
Rückenlinie von herrlicher Schönheit sehen. Dieser lockende Anblick fesselte
die Aufmerksamkeit des ehrwürdigsten Vaters, der sich selber auf die Knie
geworfen hatte. Er hatte die Beine seines Beichtkindes zwischen die seinigen
geklemmt, seine Hosen hatte er heruntergelassen, in der Hand hielt er seinen
schrecklichen Strick, und in dieser Stellung murmelte er einige unverständliche
Worte.
In
dieser erbaulichen Stellung verharrte er einige Augenblicke; er musterte den
Altar mit glühenden Blicken und schien unentschlossen zu sein, in welcher Form
er das Opfer darbringen wollte.
Einen Moment stockte
Quantz der Atem. Sein Mund wurde trocken. Er blätterte in den Bögen herum, fand
aber keinen Hinweis, von wem der Text war. Doch dann erinnerte er sich an die
Unterhaltung der beiden Franzosen in der Kutsche nach Berlin.
D’Argens hatte von
dem Roman berichtet, an dem er gerade schrieb. Die Geschichte von dem Priester,
der ein Mädchen verführte, indem er behauptete, sein Penis sei eine heilige
Reliquie – der Strick des heiligen Franziskus. Dies hier mussten Ausschnitte aus
dem Roman sein.
Zwei
Mündungen boten sich ihm; ungewiss, welche er wählen sollte, verschlang er sie
beide mit den Augen. Die eine war ein Leckerbissen für einen solchen
Kuttenträger; aber er hatte seiner Büßerin Wonne, Verzückung versprochen. Wie
sollte er’s also anfangen? Mehrere Male wagte er es, mit der Spitze seines
Werkzeugs leise an die Lieblingstür zu pochen; endlich aber war die Klugheit
stärker als die Lust. Ich muss ihm die Gerechtigkeit widerfahren lassen: Ich
sah deutlich den rötlichen Priap Seiner Ehrwürden den kanonischen Weg
einschlagen, nachdem der fromme Herr mit dem Daumen und Zeigefinger jeder Hand
die rosigen Schamlippen zart zur Seite geschoben hatte.
Hinter Quantz’
Entrüstung meldete sich eine dumpfe Erregung und rieselte durch seine Adern. Er
riss sich zusammen. So etwas durfte nicht geschrieben, geschweige denn gedruckt
werden.
Er stand auf, ging
im Zimmer umher und schüttelte die Bilder ab, die sich vor seinem geistigen
Auge materialisiert hatten, als sei er selbst der Beobachter dieser schmutzigen
Episode gewesen. Er konzentrierte sich auf das Manuskript selbst, darauf, wie es
geschrieben war.
D’Argens war kein
hemmungsloser Schreiber wie La Mettrie. Seine Schrift war ordentlicher, er ließ
einen kleinen Rand, wo sein Landsmann Anmerkungen hinterlassen hatte. La
Mettrie schien das Manuskript also gegenzulesen. Er fungierte als literarischer
Berater.
Quantz, dem es
endlich gelungen war, die vibrierenden Empfindungen im Zaum zu halten, jubelte
innerlich. Mit diesen beiden Dokumenten hatte er einen Griff mitten hinein in
die Machenschaften getan, die die Franzosen ausbrüteten.
Wie konnte er nun
dem König am effektvollsten seine Erkenntnisse präsentieren? Es kam darauf an,
Seine Majestät in einem Moment abzupassen, in dem er ihm auch ganz bestimmt
zuhörte. Die Zeit drängte. Wer weiß, was die Herren Franzosen hinter seinem
Rücken in die Wege leiteten, wenn La Mettrie den Diebstahl der Papiere
bemerkte?
Aber wie kam er an
den König heran? Über Fredersdorf? Oder sollte er Seiner Majestät direkt einen
Brief schreiben?
Quantz’ Blick fiel
auf das Notenpult, wo schon so lange das Fanfarenthema auf seine Ausarbeitung
wartete.
Wie wäre es, wenn er
Friedrich nicht nur die Dokumente seiner verschwörerischen Feinde übergab,
sondern gleichzeitig ein neues, prächtiges Konzert? Und am besten dazu die neue
Flöte? Das wäre der Effekt, der angemessen war.
Quantz stellte sich
alles in bunten Farben vor: Er setzte Seine Majestät diensteifrig von den
Umtrieben an seinem Hof in Szene. Friedrich als gerechter König belohnte ihn
dafür. Und dann holte Quantz die neue Flöte und das neue Konzert hervor und
legte es seinem König im wörtlichen Sinne zu Füßen. Keinen einzigen Taler
verlangte er dafür. Seine Majestät sollte auf keinen Fall glauben, es gehe ihm
um Geld.
Nein – es ging ihm
um die Werte, die La Mettrie so sehr mit Füßen trat: Treue. Tiefe Ergebenheit.
Loyalität. Allein die Ehre, seinem König zu dienen, ihn vor Verrat zu schützen,
war Lohn genug.
Quantz erwachte aus
seiner Vision. Zuerst musste er dazu das neue Konzert schreiben und die neue
Flöte bauen. Das würde viel zu viel
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