Schatten über Sanssouci
kam der Gedanke,
dass Seiner Majestät diese Passage nicht gefallen würde, denn sie war sehr
schwer, und der König würde schon ein paar Tage daran üben müssen.
Egal. Dieser kleine
Stich war die subtile Rache dafür, dass der König ihm nicht weiter vertraut
hatte.
Er schloss die
Augen. Das Fanfarenthema erhob sein Haupt in großer Pracht. Das erste Motiv
endete mit einem kühnen Oktavsprung nach unten, der sozusagen ein kraftvolles
Ausrufezeichen setzte, während der Bass in geschwindem Triolengemurmel diese
Melodie begleitete.
Der arme Bach würde
am Klavier diese Stelle mit der linken Hand spielen müssen. Und diesmal würde
er nicht seine Nase hochziehen und so tun, als habe er ein Kinderlied auf dem
Notenpult liegen. Das hier war richtig virtuos. Die Melodie griff die Triolenbewegung
auf, schraubte sich mutig höher und höher, verstieg sich in hakelige Synkopen,
und das über eine lange Strecke – zehn, fünfzehn, zwanzig Takte, ohne den
Schwung zu verlieren. Schließlich fuhren alle im kraftvollen Unisono dahin und
lieferten dem Flöteneinsatz des Königs ein prachtvolles Portal. Sogar die zwei
Schläge Pause, in der am Ende des Orchestervorspiels der D-Dur-Akkord verklang,
waren wie ein Atemholen vor dem Auftritt des Herrschers, der nun das Motiv mit
seinen reichen Arabesken anstimmte.
Der König hatte
allen Grund, diese Pracht auszukosten. Hatte ihm nicht sein Kammerkompositeur
gerade die ärgsten Feinde vom Leibe gehalten? Das Natterngezücht, das sich
erdreistete, dem König und seiner Herrlichkeit selbst nahe zu sein … sein
Vertrauen zu erschleichen, um dann hinterrücks in bösen Schriften seine
Herrlichkeit zu verdunkeln … sie zu untergraben … an dem Baum zu
sägen, dessen verzweigte Krone Preußen war …
Quantz badete in den
Klängen, die sein inneres Ohr hervorbrachte. Etwas sagte ihm, dass er sich
besser an sein Pult begebe, um sie aufzuschreiben. Aber nein, es war zu schön,
sie einfach nur zu hören und sich an dem Gefühl zu laben, ein Schöpfer zu sein.
Die Musik umströmte
ihn, wie sie es früher, vor vielen Jahren, getan hatte, als er noch davon
geträumt hatte, Musiker zu werden, und als er keine Nacht eingeschlafen war
ohne die wunderbarsten Melodien im Ohr.
Es war nur einem zu verdanken, dass wieder Ordnung herrschte im Lande. Einem Helden, dessen Verdienst darin bestand,
selbstlos und mutig die Augen offen zu halten und wachsam zu sein – und das
obwohl er bereits alles Wohlwollen des Königs verloren zu haben schien.
Er griff das Glas
und trank den Rest der Medizin. Da lagen die Papiere des verhassten Franzosen
und seines schweinischen Landsmannes. Quantz erhob sich. Er fühlte sich
wunderbar leicht und kräftig.
Die schlimmsten
Stellen, die dieser La Mettrie, dieser selbst ernannte Philosoph
niedergeschrieben hatte, hatte er ordentlich gesammelt. Sie warteten nur
darauf, Seiner Majestät vorgelegt zu werden. So schnell wie möglich. Das
Konzert konnte er später noch komponieren. Hier ging es nicht um Musik, hier
ging es darum, dass der Staat in Gefahr war.
Und Quantz war
bereit.
Er war stark.
Er war der Held Preußens.
Ihn streifte die
Ahnung, dass es später Abend war, dass der Monarch vielleicht nicht bereit war,
ihn anzuhören. Doch er erstickte diesen Einwand der leisen inneren Stimme im
Keim. Der König erwartete stets den selbstlosen Dienst von seinen Untergebenen.
Und er, der sich selbst als erster Diener des Staates bezeichnete, konnte
folglich gar nicht anders, als selbst allzeit bereit zu sein. Auch in der
Nacht. Am frühen Morgen. Immer. Der König war ein leuchtendes Beispiel. Er
schlief fast nie. Er arbeitete ohne Unterlass für das Wohlergehen seiner
Untertanen.
Und so spielte es
keine Rolle, ob es Mittag oder tiefe Nacht war, wenn Quantz ihm die
enthüllenden Papiere vorlegte.
Noch immer schäumte
in ihm die Musik. Es rührte ihn geradezu, dass ihm da gerade eines seiner
besten Werke gelang. Er beschloss, ihm einen Namen zu geben.
Für den König! Pour Frederic!
Nein, für den König
waren alle Konzerte, die er schrieb. Das war allgemein bekannt.
Dieses Konzert war
für Potsdam, für die Rettung dieser herrlichen Residenz. In seinen
marschartigen Fanfaren spiegelte sich alles, was Potsdam ausmachte, was Potsdam
war. Die militärische Zucht. Die schönen Künste. Die Schlösser – Sanssouci
allen voran, die herrlichen Terrassen seines Parks, die Blumen, Bäume und
Vögel. Ein irdisches Paradies, in dem ein gnädiger,
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