Schatten über Sanssouci
Schlag auf den Kopf
bekommen.«
»Warum auch nicht?«,
meldete sich Weyhe. »Es sind Balken herabgestürzt, die ihn getroffen haben.«
»Balken, ja«, sagte
Eller. »Vielleicht.«
»Natürlich«, rief
Weyhe. »Was ist daran so außergewöhnlich?«
Der Arzt sah zu ihm
auf. »Wenn Sie das hier als überflüssig betrachten, Herr Rat, dann steht es
Ihnen frei, uns zu verlassen. Selbstverständlich werde ich in diesem Fall Seine
Majestät davon in Kenntnis setzen. Ich bin verpflichtet, ein exaktes Protokoll
anzufertigen, in dem alle Anwesenden verzeichnet sind.«
»Auch der Herr
Musikus?«, fragte Weyhe. »Es wird Seine Majestät ganz besonders interessieren,
dass er dabei war.«
Eller antwortete
nicht, sondern holte eine Säge von seinem Tisch. Ohne zu zögern, begann er, den
Leichnam am Oberkörper aufzuschneiden, als ob er ein Braten bei Tisch wäre. Das
sägende Geräusch verursachte Quantz eine Gänsehaut.
Niemand sprach,
während Eller den Leichnam aufschnitt. Schließlich nahm er eine metallene
Klammer, setzte sie an dem Schnitt an und griff zu einer Öllampe. Damit
leuchtete er die klaffende Stelle aus. Dann wandte er sich Quantz zu.
»Ist die Scheune
eingestürzt, nachdem der Brand ausbrach?«, fragte er.
»Ja, natürlich«,
sagte Quantz. »Ich bin in die Scheune gegangen und habe Andreas dort liegen
sehen. Dann ist die brennende Fackel hereingeflogen und hat alles in Brand
gesetzt.«
»Als Sie den Lakaien
dort liegen sahen – lebte er? War er verletzt?«
»Verletzt schien er
nicht zu sein. Mir ist jedenfalls nichts dergleichen aufgefallen. Und ob er
gelebt hat … Er wirkte, als ob er schliefe. Glauben Sie denn, er war
bereits tot, als ich dort ankam? Vielleicht hat man ihn auch betäubt …«
Eller sah Weyhe an.
»Haben Sie zu dieser Frage einen Verdacht, Herr Rat?«
»Ich verstehe nicht,
worauf Sie hinauswollen.«
»Es ist gut, dass
Herr Quantz dabei ist«, meldete sich La Mettrie. »Er kann Sie auf die richtige
Spur führen.«
Weyhe schüttelte den
Kopf. »Was reden Sie da? Was soll das alles? Können Sie mir bitte mal erklären,
was los ist? Was haben Sie an der Leiche entdeckt?«
»Andreas Freiberger
war tot, als der Brand ausbrach«, sagte Eller. »Er hat eine schwere Verletzung
am Kopf erlitten. Sie, Herr Quantz, haben das vielleicht nicht bemerkt, denn
die Verletzung befindet sich auf dem Schädeldach. Sie war verdeckt von seinem
Haar.«
»Aber ein Balken …«,
wandte Weyhe ein.
»Kein Balken«, sagte
Eller. »Möchten Sie einmal einen Blick in die Lunge des Unglücklichen werfen?«
Quantz, der ein paar
Schritte zurückgetreten war, trat wieder näher an den Untersuchungstisch heran.
Was Eller wohl meinte?
»Warum sollte ich
das tun?«, rief der Rat.
»Ganz einfach. Um zu
sehen, ob er noch geatmet hat, als das Feuer ausbrach. Wenn das der Fall
gewesen wäre, müsste Ruß in seiner Lunge sein.« Er klappte einen Teil des
Brustkorbs um. »Schauen Sie nur. Das Organ ist sauber, rosig – nur eben …«
La Mettrie
vollendete den Satz. »Etwas durchgebraten?«
Der Medicus nickte.
»Wenn Sie es so ausdrücken wollen, Monsieur.«
Vor Quantz innerem
Auge erschien das Bild des Lakaien auf dem Heu. Er hätte ihn vielleicht doch
irgendwie retten können. Wenn er die Kraft gehabt hätte …
»Darf ich die Lunge
mal sehen?«, fragte der Franzose.
»Natürlich, Herr
Kollege. Sie auch, Herr Rat? Sie sind der Verantwortliche hier. Es sollte Ihre
Pflicht sein.«
Weyhe rümpfte die
Nase. »Danke, ich verzichte.«
La Mettrie nahm
Lampe und Lupe, beleuchtete die Höhlung in Andreas’ Leiche und nahm auch noch
andere Bereiche des Leichnams in Augenschein.
»Seltsam, dass der
Arm intakt geblieben ist«, sagte er, griff zu einem der Bestecke und begann nun
wie vorhin Eller auf der verkohlten Haut herumzukratzen. »Nun ja, dergleichen
gibt es. Man hat ihn ja nicht herausgeholt, bevor die Scheune vollständig heruntergebrannt
war.« La Mettrie murmelte noch ein paar unverständliche französische Wörter vor
sich hin, während er sich den unversehrten Arm ansah und sich dabei eingehend
der Hand widmete. Über einen der Finger hielt er die Lupe besonders lange.
Eller war höflich
zurückgetreten. »Haben Sie noch etwas anderes entdeckt, Herr Kollege?«, fragte
er.
La Mettrie gab die
Instrumente dem Arzt zurück. »Ich? Nein, nein. Ich muss mich entschuldigen. So
einen Toten sieht man nicht oft, und ich habe mich hinreißen lassen, auf Ihre
Kosten etwas dazuzulernen. Schließlich sind Sie ein
Weitere Kostenlose Bücher