Schatten über Sanssouci
stichhaltige
Beschuldigung zu konstruieren«, sagte Quantz, »und er wird mir tatsächlich die
Schuld an Andreas’ Tod in die Schuhe schieben. Vielleicht sogar Schlimmeres.
Verrat am König.«
»Das wird ihm nur
gelingen, wenn Sie auch wirklich schuldig sind«, sagte der Franzose. »Aber das
sind Sie nicht, oder doch?«
»Natürlich nicht«,
sagte Quantz. »Und ich frage mich immer noch, warum Sie mir helfen. Warum
interessiert Sie das Ganze überhaupt?«
»Ich habe bereits
versucht, es Ihnen zu erklären. Die Natur des Menschen ist mein Steckenpferd.
Mich interessieren die Gründe, warum Menschen so oder anders handeln. Und ein
solch geheimnisvoller Mordfall ist ein wunderbares Exempel. Und ehrlich gesagt,
traue ich unserem wackeren Herrn Rat nicht zu, dass er der Sache wirklich auf
den Grund geht. Er ist zu eingeschränkt in seiner Sichtweise und zu sehr davon
besessen, etwas zu beweisen, was er schon zu wissen glaubt. Das ist keine
Methode, die wahre Erkenntnis erwarten lässt. Oder er gibt sich nur so stur … Vielleicht
ist er klüger, als wir denken, um vom wahren Schuldigen oder einem anderen
Sachverhalt abzulenken. So ist er entweder unfähig oder …«
Quantz musste wieder
einmal feststellen, dass er nicht mitkam. Was sagte der Franzose da?
»Moment – Sie
meinen, er hat selbst etwas mit dem Tod des Lakaien zu tun?«
»Oder mit den
verzweigten Dingen, die damit zusammenhängen. Aber es ist nur eine
Möglichkeit.«
Quantz seufzte.
Wieder wurden ihm die Knie weich. Diese vielen Theorien des Herrn La Mettrie
brachten ihn auch nicht weiter. Philosophie war nutzlos. »Wie soll ich gegen
diese Intrigen angehen?«, fragte er. »Was kann ich tun? Sie können mir nicht
helfen. Verzeihen Sie, ich will Sie nicht kritisieren, aber reines Denken – das
ist doch zu wenig. Praxis ist vonnöten.«
La Mettrie hob die
Augenbrauen. »Sie wollen Praxis? Damit meinen Sie wohl ein handfestes Faktum.
Nun, eine wichtige Information hat diese Leichenschau ja gebracht. Ein Faktum,
das sehr überraschend ist …«
»Dass Andreas schon
tot war, als er verbrannte. Ist das wirklich so entscheidend?«
Sie wandten sich
nach links und überblickten nun das Areal zwischen dem Stadtschloss und dem
königlichen Marstall. Hinter einem hohen eisernen Zaun lag der Lustgarten –
Schauplatz der täglichen Parade, die unmittelbar bevorstand. Immer mehr
Soldaten strebten dem weit offenen Tor im Zaun zu. Quantz und La Mettrie
hielten sich abseits.
»Vielleicht schöpfen
Sie Mut, wenn ich Ihnen sage, dass es eine weitere Information gibt«, sagte La
Mettrie.
»Und welche? Mehr
hat doch Herr Eller nicht konstatiert.«
»Herr Eller ist ein
kluger Mann, aber …« La Mettrie sah sich um als fürchte er, belauscht zu
werden. Flüsternd sprach er weiter. »Die Leiche auf dem Tisch war ein Junge in
Freibergers Alter, doch was heute dort unten untersucht wurde, waren nicht die
Überreste des Lakaien.«
»Wie bitte?« Die
Überraschung traf Quantz wie eine schallende Ohrfeige. »Sie meinen, es hat noch
einen Mord gegeben?«
»Nicht so laut. Ich
bitte Sie.«
»Aber was sagen Sie
da? Wer soll es denn sonst gewesen sein? Ich habe Andreas doch selbst gesehen.
Vor dem Brand und hinterher. Die Leiche war dieselbe. Dieser schreckliche,
hervorstechende Arm …«
»Kommen Sie«, sagte
La Mettrie ruhig, »lassen Sie uns ein Stück weitergehen. Ich behaupte ja nicht,
dass die Leiche irgendwie ausgetauscht wurde. Ich sage, dass schon der Junge in
der Scheune nicht Andreas war.«
»Aber ich habe ihn
gesehen«, beharrte Quantz.
Betont langsam
schlenderten sie an der Front des Marstalls entlang und wandten sich wieder in
Richtung des Alten Marktes.
»Wie lange? Und in
welchen Lichtverhältnissen?«
»Lichtverhältnisse?
Ich weiß es nicht mehr … Die Flammen von draußen sorgten für schwaches
Licht. Und dann die Fackel, die hereinflog. Aber ich war absolut sicher …«
»Versuchen Sie, sich
zu erinnern. Seien Sie sehr kritisch mit sich selbst. Wie lange haben Sie ihn
gesehen?«
»Wenn ich ehrlich
bin, keine halbe Minute. Ach was, nur Sekunden.«
»Und man hat Ihnen
gesagt, dass Sie Freiberger treffen würden. Ihr Geist war auf ihn fixiert. Sie wollten ihn finden, und deswegen war dieser Junge, der dort
lag und ihm sicher ähnlich war, für Sie Andreas. Compris? «
»Das stimmt.«
»Und es war dunkel
in der Scheune. Bis auf flackerndes Feuer. Sie haben ihn kaum richtig
betrachtet.«
»Ja, so könnte es
gewesen sein … Aber was
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