Schatten über Sanssouci
sehr beschäftigter Mann.
Ich bitte vielmals um Verzeihung, dass ich Ihre Zeit so sehr in Anspruch
genommen habe.«
»Es sei Ihnen
gegönnt. Sie können sich gern noch weiter mit dem Fall beschäftigen. Ich habe
nichts dagegen, wenn so etwas neu für Sie ist … Aber ich dachte, Sie
hätten schon Erfahrungen mit Leichen auf den Schlachtfeldern gesammelt.«
»Oh, Sie meinen, als
ich Medicus im Regiment des Duc de Grammont war … Ja, damals habe ich eine
Menge gesehen. Doch eine reine Verbrennung, das ist selten.«
»Können wir jetzt
bitte zu einem Ergebnis kommen?«, unterbrach Weyhe den Franzosen. »Herr Eller,
was werden Sie im Protokoll schreiben?«
»Wie ich gesagt
habe: Andreas Freiberger war bereits tot, als die Flammen ihn ergriffen.«
»Also hat ihn jemand
umgebracht und dann die Scheune mitsamt seiner Leiche in Brand gesteckt, um den
Mord zu vertuschen?«, fragte der Rat.
Der Arzt nahm die
Klemme aus dem Leichnam und legte sie auf den kleinen Tisch zurück. »Ich
überlasse es Ihnen, Schlüsse aus der Untersuchung zu ziehen«, sagte er.
»Danke für die
Aufforderung, das werde ich tun. Auch ich werde einen Bericht an Seine Majestät
schreiben und darin eigens erwähnen, dass der Herr Musikus hier aufgetaucht
ist, nachdem er sich der Unterstützung des Kammerherrn versichert hat. Und das
ganz sicher mit dem Ziel, die Untersuchung zu seinen Gunsten zu beeinflussen.«
»Das habe ich nicht
im Geringsten getan«, rief Quantz. »Wie kommen Sie überhaupt darauf?«
»Welchen Sinn hätte
denn Ihre Anwesenheit hier sonst? Zumal die Untersuchung ja ergeben hat, dass
Sie noch verdächtiger sind als vorher.«
»Wie bitte?«, sagte
La Mettrie. »Monsieur, ich muss doch sehr bitten.«
Weyhe beachtete ihn
nicht und redete weiter auf Quantz ein. »Sie sind derjenige, der Andreas
Freiberger zuletzt lebend gesehen hat. Schon vor seinem Verschwinden kam
heraus, dass er spionierte, offenbar angestiftet von jemandem aus dem Umkreis
Seiner Majestät. Er hat Noten gestohlen, die im Eigentum Seiner Majestät waren,
und zu denen nur der König und Sie Zugang hatten. Sie haben sich mit ihm
getroffen. Und nun ist er Ihnen gefährlich geworden. Sie mussten sich seiner
entledigen. Und das ist bei Weitem noch nicht alles. Aus Ihrem Haus desertierte
ein Soldat, der bis heute nicht wieder aufgetaucht ist – weder in der Stadt
noch in den umliegenden Dörfern. Und der zweite Soldat, der bei Ihnen
einquartiert war, ist tot. Ermordet. Welchen Reim würden Sie sich denn auf all
diese Hinweise machen, Herr Musikus?«
Quantz wurde
schlecht. Der Brandgeruch stieg ihm plötzlich viel stärker in die Nase als
zuvor. Ihm war, als seien seine Sinne mit einem Mal geschärft worden wie ein
Messer. Die bellende Stimme des Rates, die an den steinernen Wänden des Raumes
widerhallte, schien mit jedem Wort lauter zu werden. Gleichzeitig wurden seine
Beine schwach, und Schweiß trat ihm auf die Stirn. Sein Blickfeld wurde eng.
Jemand packte ihn unter den Armen und hielt ihn fest. Dann saß er auf einem
Schemel, auf seiner Stirn wurde es kälter. Vor ihm stand der Kammerherr, der
ihm mit einem nassen Lappen das Gesicht betupfte.
»Ich werde den
endgültigen Beweis finden, der Sie vernichtet, Herr Musikus«, schrie Weyhe.
»Und Seine Majestät wird mir dafür dankbar sein.«
Die Worte hallten in
Quantz’ Kopf. Der Rat verließ den Keller mit strammen Schritten. Kaum war er
verschwunden, ging es Quantz wieder etwas besser.
»Es tut mir leid«,
sagte er.
La Mettrie lächelte
ihn an. »Das kann jedem passieren, vor allem in Anwesenheit einer nicht
besonders appetitlichen Leiche. Oder gewissen unsympathischen Hofbeamten.
Können Sie aufstehen? Dann verlassen auch wir diesen unwirtlichen Ort.«
Quantz erhob sich
vorsichtig. Der Tisch, auf dem die Leiche gelegen hatte, war leer. Er hatte gar
nicht mitbekommen, dass Eller Andreas’ Überreste weggebracht hatte.
»Sie waren ganz kurz
ohnmächtig«, erklärte La Mettrie.
»Wo ist Herr Eller?«
»Er muss noch vor
der Parade mit dem König sprechen. Kommen Sie. Wenn Sie ein wenig in Bewegung
kommen, wird auch Ihr Innenleben wieder erwachen. Wie Sie vielleicht wissen,
fließt das Blut in einem Kreislauf durch den Körper, und je schneller das der
Fall ist … Ach, ich glaube, das wollen Sie gerade gar nicht hören.«
Sie schritten
durch das Fortunator. Nun umgab sie wieder die Sonne des Frühlingstages und die
laue, samtweiche Luft. »Diesem Rat Weyhe wird es gelingen, eine
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