Schatten über Sanssouci
des
Hauptweges des Schlossparks in der Ferne verlor – unterbrochen durch ein rundes
Wasserbassin. Wie es hieß, hatte Seine Majestät vor, es mit einer Fontäne zu verschönern.
Leider war dieser Plan bisher an technischen Problemen gescheitert. »Ich möchte
nicht mit Ihnen über künstlerische Fragen räsonieren«, sagte er scharf. »Wir
haben unseren Dienst zu verrichten. Und das sollten wir zur vollsten
Zufriedenheit des Königs tun.«
»So sind wir also
weniger Künstler als Diener«, sagte Bach. »Darin, lieber Herr Quantz, muss ich
Ihnen recht geben. Sie machen keine Kunst. Sie verrichten einen Dienst.«
Quantz biss die
Zähne zusammen. Der Fuhrmann hatte das Tempo angezogen. Jetzt ging es den Berg
hinauf, sie wurden wieder langsamer. Als sie oben angekommen waren, mussten die
Pferde noch eine letzte Steigung nehmen: die gerade, breite Rampe, die hinauf
in den Ehrenhof führte, ein Halbrund aus Doppelsäulen, das den Eingang des Schlosses
umgab.
Kies knirschte. Die
Kutschen hielten.
An keinem anderen
Hof, an dem Quantz je als Musiker gedient hatte, hatte er die herrschaftlichen
Räumlichkeiten durch den offiziellen Eingang betreten dürfen. Musiker waren in
den Residenzen nicht mehr als Hofbedienstete, die weit unten in der Rangordnung
standen. In Sanssouci war ihnen der herrschaftliche Zugang gestattet.
Im Zentrum des
Schlosses, das nur über ein einziges, ebenerdiges Stockwerk verfügte, lag der
ovale Marmorsaal, von dem links und rechts je eine aneinandergereihte Flucht
von Zimmern abging. Der eine Flügel beherbergte die Gemächer des Königs, in dem
anderen lagen die Gästezimmer für Besucher, von denen man jedoch bisher kaum
welche gesehen hatte. Es hieß, Friedrich wolle bald Gelehrte vor allem aus
Frankreich um sich scharen, die dann in diesen Räumen wohnen würden. Einige von
ihnen bestimmten bereits das geistige Leben Preußens. Der Mathematiker und
Geograph Pierre Louis Moreau de Maupertuis zum Beispiel, der seit zwei Jahren
Präsident der Berliner Akademie war. Vor Kurzem hatte de Maupertuis den
befreundeten Philosophen La Mettrie ins Land geholt – auf Wunsch Seiner
Majestät persönlich. Eines Tages sollte sogar der ebenso berühmte wie verrufene
Voltaire nach Potsdam kommen. Bis jetzt schlug der Franzose die Einladungen des
Königs jedoch immer wieder aus.
So klein das Schloss
war, so gelungen fügte es sich in seine Umgebung ein. Jeder der Räume besaß
hohe Fenstertüren, die auf die weite Terrasse hinausgingen. Von dort gelangte
man über breite Stufen den Hang hinunter in den großen Park. Auch wenn man im
Schloss musizierte, war es, als befinde man sich in einem Paradies, denn das
Grün, die blühenden Bäume, der Himmel – alles brach sich in riesigen Spiegeln.
Auf diese Weise hielt jetzt, im Mai, der Frühling selbst Einzug im Schloss.
Zunächst jedoch
versammelten sich die Musiker im Vorraum, dem Vestibül. Dann öffneten Lakaien
die Türen, und man ließ sie in den Marmorsaal vor. Im hellen Licht des
Deckenfensters in der Kuppel konnten Graun, Benda, Mara und Engke auf
bereitstehenden Tischen ihre Instrumentenkoffer ablegen. Das Auspacken inmitten
der Marmorverzierungen und vor den stillen weißen Statuen in den Nischen ging
schweigend und konzentriert vonstatten.
Sie hatten keine
Zeit zu verlieren. Das Privatkonzert war Teil des exakt geregelten Tagesablaufs
Seiner Majestät, der nur wenige Stunden nach Mitternacht begann und mit
Schreibtischarbeit, Konferenzen mit den Ministersekretären, mit Speisen,
Ausreiten, Parade, Lesen, immer wieder strenger Arbeit über den Dekreten,
Erlassen, Akten und Korrespondenzen und schließlich dem Konzert vor dem
Abendessen angefüllt war.
Sehr selten waren
bei der Musik andere Personen anwesend als der König und seine Musiker.
Friedrich wollte mit seinem Können auf der Flöte nicht beeindrucken. Es war
eine Passion, die er privat pflegte. Allerdings gab er bei Empfängen in Berlin
gelegentlich Kostproben seiner Kunst, jedoch nur im Kreise seiner Verwandten –
seiner Geschwister und seiner Mutter, die im Schloss Monbijou lebte.
Benda, Graun, Mara
und Engke standen mit ihren Instrumenten bereit. Auf Bach wartete das wertvolle
Klavier von Silbermann.
Von jenseits der
Flügeltür ertönte eine hohe, strenge Männerstimme: »Lasst die Musikanten
herein.«
Sofort zogen Lakaien
die Flügel auf. Quantz hatte den Vortritt. Gefolgt von den anderen, schritt er
durch das schmale Audienzzimmer in den Konzertraum. Dort empfing sie der
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