Schatten über Sanssouci
gewinnen und den Ruhm und das
Ansehen Preußens zu mehren – wer hatte dann genauso viel Anteil daran wie seine
Generäle, Offiziere, Diplomaten und Spione? Er – Johann Joachim Quantz.
Hinter den Fenstern
der Flügeltür sank die Sonne. Ihre letzten Strahlen brachen sich in den
Verzierungen des Raumes, den der König selbst sein Konzertzimmer nannte. Das
Licht schien von der Decke aus die Wände herabzurinnen wie flüssiges Gold. Es
nahm seinen Beginn an der Stelle, wo der mächtige Kronleuchter aus Bergkristall
befestigt war. Dort lag das Zentrum eines riesigen goldenen Spinnennetzes, das
sich über die Wölbung spannte – eine originelle Dekoration, in der sogar die
kleinen Achtfüßler selbst nicht fehlten. Aus dem Netz wuchsen weiter unten zu
allen Seiten hin Ranken, Weinblätter mit Früchten, Gartenlauben, aus denen dann
wieder die Umrandungen der Spiegel und der Gemälde wurden. Eine ganze Welt –
entsprungen aus der Falle eines räuberischen Insekts …
Quantz’ Gedanken
drifteten, umspült von der Musik, weiter ab. Sanssouci war neu. Erst vor einem
Jahr war das Sommerschloss eingeweiht worden – als sichtbares Zeichen einer
neuen Zeit. Nach den Kriegen um Schlesien, so hieß es, wollte Friedrich hier seiner
Muße frönen und ein neues Arkadien schaffen. Einen Hort der Künste und der
Philosophie mitten in Preußen.
Draußen vor dem
Schloss blühten auf den Terrassen Wein und Feigen, die mühsam hinter dicken
Treibhausgläsern gezogen wurden. Hier drinnen erklang herrliche Musik nach
italienischem Gusto – Musik, die von ihm, Quantz, komponiert worden war. Ohne
Zweifel würde er im neu entstehenden Arkadien seine Aufgabe haben.
Doch schon immer,
seit er zum ersten Mal das Konzertzimmer betreten hatte, fragte er sich, welche
Bedeutung dieses Spinnennetz besaß.
Es ging auf acht
Uhr zu, als das Konzert vorbei war. Die Musiker entfernten sich bereits in den
Marmorsaal, um die Instrumente zu verpacken.
Quantz wurde wie
üblich in das hintere Zimmer des Königsflügels gebeten. Hier befand sich
Friedrichs Schreibtisch und im Hintergrund, in einer großen Nische, sein
einfaches Bett. Die Lakaien hatten die Kerzen angezündet. Das flackernde Licht
erfüllte den Raum.
An der kleinen Tür,
die zur Bibliothek führte, stand reglos eine Gestalt. Es war Fredersdorf, der
»Geheime Camerier und Obertresorier« des Königs, der sich neben vielen anderen
Aufgaben auch um die privaten Finanzen Seiner Majestät kümmerte. Er trat vor
und händigte Quantz wortlos einen Lederbeutel mit Münzen aus. Das Honorar für
die neue Komposition. Fünfundzwanzig Taler.
»Ich bin zufrieden,
Quantz«, sagte der König. »Doch Sie machen es mir zu leicht. Mir und sich
selbst übrigens auch.«
Quantz neigte den
Oberkörper. »Eure Majestät, verzeiht … Ich verstehe nicht.«
Friedrich legte
Quantz die Hand auf die Schulter. »Sie schreiben immer dieselben Passagen. Viel
zu oft verlassen Sie sich auf das Reglement der einfachen Themen, die wie
Fanfaren klingen. Sie sind doch nicht mein Militärmusikus, der Märsche
schreibt, nicht wahr?«
»Wie Sie wünschen,
Majestät.«
»Ich habe das
Gefühl, Sie machen manchmal selbst die Fehler, die Sie mir früher in meinen
ersten Kompositionen angekreidet haben. Sie geben sich nicht genug Mühe bei der
Erfindung Ihrer Grundeinfälle. Denken Sie darüber nach.«
»Ich werde es
beherzigen, Majestät.«
»Kein Reglement,
verstehen Sie? Aber trotzdem soll sich jede Erfindung in den Grenzen bewegen,
die ein Konzert auferlegt. Harmonie von Strenge und Freiheit.«
Der König ließ sich
in dem Stuhl an seinem Schreibtisch nieder. Ein Quietschen kam aus der Ecke
neben dem Fenster, wo die Windspiele Biche und Alcmene träge auf dem
Parkettboden lagen. Einer der Hunde gähnte und zeigte das hellrosa Fleisch in
seinem Maul. Als seine Zähne aufeinanderschlugen, war ein festes, trockenes
Klappern zu hören.
»Man kann die Muse
nicht bemühen, wenn sie einem nicht gewogen ist. Wagen Sie etwas. Wir werden
morgen das neue Konzert noch einmal probieren. Aber seien Sie fleißig, lieber
Quantz.«
»Jawohl, Majestät.«
»Ach ja, und noch
etwas. Am Mittwoch Souper und Konzert bei der Königin in Monbijou.«
Quantz nickte. Wenn
Friedrich »Königin« sagte, dann meinte er seine Mutter, die er gewöhnlich jede
Woche in Berlin besuchte. Gelegentlich gehörte die Hofmusik zu seiner Begleitung,
sehr selten auch Quantz. Nun war es wieder einmal so weit. Quantz zuckte bei
dem Gedanken an die Reise in
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