Schatten über Sanssouci
die
schönsten Fugen schreiben.«
Stille kehrte im
Saal ein. Man konnte das Erstaunen, das sich ausbreitete, fast mit Händen
greifen. Quantz’ Blick traf den des Grafen Keyserlingk. Als sie sich ansahen,
nickte der Graf fast unmerklich.
»Ich habe rasch den
Versuch einer Komposition gemacht«, fuhr Mizler fort. »Man nimmt eine beliebige
Zahl, die man sogar erwürfeln kann. Dann zählt man die Noten ab und schreibt
sie auf. Sehen Sie, oder vielmehr – hören Sie.« Er schob Bach vom Cembalo weg und
legte einen Zettel mit hastig hingeschriebenen Noten hin. »Hier, das habe ich
allein in den letzten Minuten mit der Kompositionsmaschine geschaffen.«
Er begann zu
spielen. Es war ein recht gut ausgearbeiteter zweistimmiger Satz. Als er zu
Ende war, applaudierte niemand. Stille des Staunens lag über dem Saal. Sie
schien Quantz zu erdrücken.
»Herr Quantz«, sagte
die Prinzessin. »Wer hätte das von Ihnen erwartet? Wenn man Ihre Konzerte kennt
… Sie machen sich wenig Mühe, ihnen kontrapunktische Tiefe zu geben.
Allerdings …« Sie neigte den Kopf mit dem Dreispitz zur Seite. »Sie wollten ein
Spiel mit uns spielen, oder nicht? Sie stehen im Dienst meines Bruders. Und ihm
liegt nicht viel an theoretischen musikalischen Experimenten, das weiß ich
wohl. Ich weiß auch, dass es zwischen Ihnen und dem König gerade nicht zum
Besten steht. Ich muss aber zugeben, ich würde mich glücklich schätzen, wenn
ich Sie als Musikus an meinem Hof hätte. Doch das würde mir der König nie
verzeihen. Sie bringen mich in eine Klemme, Herr Kammermusikus.«
Quantz senkte nur
das Haupt. »Ich danke Ihnen, Königliche Hoheit«, sagte er.
»Für heute ist es
spät geworden«, sagte Amalia. »Lassen Sie uns bald eine neue Zusammenkunft einberufen.
Dann wird Herr Quantz uns sein System des Kontrapunkts erklären.«
Ob sie sich
tatsächlich an den König wenden würde? Mit der Bitte, ihn sozusagen
freizukaufen? So etwas kam in den Kreisen der Hofmusiker immer wieder vor. Er
selbst war auf diese Weise vom Dienst in Sachsen nach Preußen gekommen.
Quantz zog die vier
Teile der Flöte auseinander, reinigte sie und brachte sie wieder behutsam in
dem Kästchen unter.
»Danke, dass ich auf
Ihrem Instrument musizieren durfte, Königliche Hoheit«, sagte er, als er es der
Prinzessin reichte. Ein Lakai nahm das Kästchen entgegen.
»Bringen Sie das
nächste Mal gern Ihre eigene Flöte mit.«
»Selbstverständlich
… Eure Königliche Hoheit, ich hätte eine Frage. Wie erfahren die Musiker
von den Zusammenkünften?«
»Ich beauftrage
jemanden, der die Einladungen verteilt. Mir ist daran gelegen, dass mein Bruder
nichts von diesen Zusammenkünften erfährt. Für ihn sind das alles kostspielige
Phantastereien.«
Quantz verbeugte
sich. »Ich werde selbstverständlich Stillschweigen bewahren, Eure Königliche
Hoheit.«
»Ich wusste, dass
Sie mich nicht enttäuschen.« Sie lächelte ihn an, verharrte einen Moment und
ging.
Er nahm Andreas’
Noten entgegen, die Mizler ihm mit einem bewundernden Blick reichte.
Am Ausgang hielt
Bach ihn auf. »Nehmen Sie sich in Acht, Herr Kammermusiker«, raunte er Quantz
ins Ohr.
»Wie meinen Sie
das?«
»Diese Noten sind
nicht von Ihrer Handschrift. Das kann jeder sehen, der Ihre Werke kennt. Ich
frage mich, ob Sie wirklich der Autor dieses musikalischen Meisterstücks sind.
Es passt gar nicht zu Ihnen. Da hat die Prinzessin ganz recht.« Bach erwartete
gar keine Antwort, sondern wandte sich Graun zu, der ihnen nachgekommen war.
Quantz schritt
nachdenklich die Treppe hinab. Ihm kam in den Sinn, was La Mettrie über Andreas
gesagt hatte: Er hatte dessen besondere Talente erwähnt. Dass sie so
außergewöhnlich waren, hatte Quantz kaum ahnen können.
Auf dem Vorplatz
angekommen, fragte er sich, ob er um diese Zeit noch eine Kutsche fand. Er hatte
sich gerade entschlossen, zu Fuß nach Hause zu gehen, da hielt neben ihm ein
Coupé. Der Seitenschlag öffnete sich, und da saß Graf Keyserlingk.
»Herr Quantz«, sagte
er. »Wer solche Meisterstücke im Kontrapunkt vollbringt, sollte nicht durch die
Stadt laufen müssen. Steigen Sie ein, ich nehme Sie ein Stück mit.«
***
Andreas rieb
sich die Augen. Die Notenlinien auf dem Papier vor ihm waren immer noch leer.
Er hob den Kopf und
blickte auf, als Schritte von draußen die Stille durchbrachen. Zwei, drei Atemzüge
später betrat der Mann mit der schwarzen Perücke den Raum. Er hielt einen
Kerzenleuchter mit drei Armen in der Hand, dabei war es in
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