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Schatten über Sanssouci

Schatten über Sanssouci

Titel: Schatten über Sanssouci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: O Buslau
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mitnehmen«, sagte Quantz.
    Keyserlingk nickte
freundlich. »Bitte sehr, aber ich tue Ihnen den Gefallen nicht nur, um Ihnen
den Weg zu Ihrer Unterkunft zu erleichtern. Ich möchte die Gelegenheit nutzen,
um mit Ihnen zu sprechen.«
    »Über Musik? Über
den seltsamen Kreis der eingeweihten Kontrapunktkünstler, den die Prinzessin
gegründet hat?«
    »Ich habe schon
verstanden, dass Sie völlig unverhofft zu dieser Veranstaltung gekommen sind.
Sie wirkten etwas deplatziert.«
    »Weil es nicht dem
Stil meiner eigenen Kompositionen entspricht? Weil ich mit diesen
mathematischen Spitzfindigkeiten wenig anfangen kann? Sicher – ein Komponist
muss dergleichen lernen, um das Material zu beherrschen. Wie ein Maler die
Perspektive oder ein Dichter das Versmaß. Aber wenn es darum geht, Werke zu
schaffen, die neu und originell sind, dann sollte man sich von den
Vorschriften, wie und wann welche Stimme voranzuschreiten hat, lösen. Wenn man
nicht gerade ein Genie wie Johann Sebastian Bach ist, vertrocknet einem die
Musik, während man sie noch aufs Papier schreibt.«
    »Wahre Worte, mein
lieber Quantz, und Sie werden sich wundern, dass es vor allem einen Musiker
gibt, der genau Ihrer Meinung ist.«
    »Bachs Sohn? Das ist
nichts Neues. Sie wissen sicher, dass das königliche Thema, mit dem alles
angefangen hat, von ihm stammt?«
    Keyserlingk nickte.
»Ich bin über diese Sache informiert. Eine kleine Rache an seinem Vater, die
sich – wie das oft der Fall zu sein pflegt – gegen ihn selbst gerichtet hat.
Bach will seinen alten Herrn mit dem Thema, an dem er lange gebrütet haben
muss, hereinlegen, der Vater macht eine phantastische Ausarbeitung der Idee,
der König nimmt sie nicht zur Kenntnis und schickt sie seiner Schwester, die
dergleichen Musikorakel liebt – und sie wiederum hält sich an Bachs Sohn, um
einen Zirkel zu gründen, der sich genau der trockenen Musikrichtung des alten
Bach verschreibt. Carl Philipp Emanuel kann natürlich der Prinzessin keinen
Korb geben, und auch Herr Mizler ist ihm keine große Hilfe, denn der ist kein
ausführender Musiker. Die größte Ironie des Schicksals aber ist, dass der junge
Bach viel lieber frei und voller großer Emotionen auf dem Hammerflügel
improvisieren würde. Doch nun wird er bis zum Ende seiner Tage Fugen spielen
müssen.«
    Langsam schritten
die Pferde durch die Innenstadt von Berlin. In der Kutsche war es zu dunkel,
als dass Quantz das Gesicht des Grafen hätte sehen können. Warum erzählte er
ihm das alles? Wollte er nur mit ihm gelehrt über Musik plaudern?
    »Haben Sie Herrn
Bach einmal aus dem Stegreif spielen hören?«, fragte Keyserlingk nach einer
Weile. »Man hat das Gefühl, er will mit seinen Tönen die Türen zu ganz neuen
Reichen aufstoßen. Ich habe auch einen jungen Cembalisten im Dienst. Er heißt
Goldberg. Sie haben vielleicht von ihm gehört. Der Kantor Bach hat eine Reihe
von Variationen geschrieben, die mir Goldberg immer wieder vorspielt. Es ist
wirklich unglaublich, welchen Unterschied man erlebt: hier die abgezirkelte,
harmonische Musik des alten Bach, dort die emotionale, affektierte des jungen.
Man muss sich fragen, wo das alles noch hinführt. Wie sich die Musik entwickeln
wird in den nächsten Jahrzehnten und Jahrhunderten.«
    »Erwarten Sie, dass
ich mit Ihnen über die Zukunft der Musik spekuliere, Graf Keyserlingk? Sie
wissen, dass das nicht meine Art ist. Ich bin Praktiker, kein Theoretiker.«
    »Kein Theoretiker?
Und dann gelingt es Ihnen, so etwas zu entwickeln, wie das, was wir gerade
erlebt haben?«
    Quantz biss sich auf
die Lippe und schwieg.
    »Ich wollte Sie nur
warnen«, fuhr der Graf fort.
    »Warnen?« Quantz’
Stimme klang selbst in seinen eigenen Ohren brüchig. »Wovor?«
    Keyserlingk lachte
leise, aber es war kein abfälliges, sondern ein wohlwollendes Lachen. »Sie
können die Verstrickungen, in denen Sie sich gerade befinden, nicht ignorieren.
Glauben Sie, die Geschichten über den toten Lakaien, die seltsamen
Notendiebstähle und den entflohenen Soldaten machen an der Akzisemauer halt und
dringen nicht nach Berlin? Die Prinzessin freilich lebt in ihrer eigenen Welt.
Sie interessieren solche Gerüchte kaum. Doch viele andere schon, seien Sie
dessen versichert …«
    Quantz seufzte. »Ich
hätte es mir denken können. Aber ich kann Ihnen auch etwas versichern: Ich habe
weder mit dem Tod des Andreas Freiberger etwas zu tun noch mit den anderen
Dingen. Es ist eine Hofintrige. Zwischendurch hatte ich sogar schon vermutet,

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