Schatten über Sanssouci
Weil es eben nur die Spielerei eines Verrückten war.
»Wir nehmen die
Herausforderung an«, erklärte die Prinzessin. »Herr Quantz, ich muss sagen, Sie
sind ein echter Gewinn für unsern Kreis. Wir werden derweil weiter Musik machen.
Und Herr Mizler, werden Sie das Rätsel lösen können, bis die Musik zu Ende
ist?« Sie wandte sich dem Gast aus Leipzig zu. »Glauben Sie, dass Sie das
schaffen? Als guter Mathematicus?«
Mizler neigte
nachdenklich den Kopf. »Ich habe da schon eine Theorie«, sagte er. »Spielen Sie
ruhig die Sonate. Wenn die Musik verklungen ist, weiß ich, ob mein Verdacht
richtig ist.«
»Ein sehr guter
Vorschlag. Also meine Herren. Herr Bach, spielen Sie uns doch bitte noch einmal
das königliche Thema vor, damit wir dessen Verarbeitung besser verfolgen
können.« Die Prinzessin setzte sich wieder.
Der Cembalist
gehorchte. Alle Anwesenden lauschten andächtig der in einem Molldreiklang
aufstrebenden Melodielinie, die dann unvermittelt nach unten sprang, dann in
einer erneut oben angesetzten chromatischen Abwärtsbewegung neue Kraft sammelte
und sich schließlich in der Schlusswendung auflöste.
Sie begannen die
Sonate erneut. Quantz machte sich wenig Gedanken darüber, wo welche Fetzen des
Themas auftauchten. Er bewunderte allerdings eine Passage, wo es in großen
Noten auf einmal inmitten komplizierter Verflechtungen im Bass erschien.
Ansonsten war er vollauf damit beschäftigt, sich auf seinen Part zu
konzentrieren, denn das Stück war nicht leicht. Der Komponist folgte
unbarmherzig den Erfordernissen der musikalischen Logik und nahm wenig
Rücksicht auf Grifftechnik. Ob die zu spielende Musik angenehm oder unangenehm
in der Hand lag, darauf schien der alte Bach keinen Gedanken verschwendet zu
haben.
Wenn Quantz
komponierte, achtete er stets darauf, ob sich sein Solist – der ja immer der
König war – auch glanzvoll darstellen konnte und ob der eine oder andere Griff
nicht zu schwer war. Auch verbrachte Quantz viel Zeit mit Überlegungen, wie man
mit leicht zu spielender Musik einen Effekt erzielen konnte, sodass die
Anwesenden den Eindruck hatten, der Flötenpart sei schwer.
Vor dem letzten Satz
blickte Quantz zu Mizler hinüber, der sich in den hinteren Bereich des Saales
zurückgezogen hatte und stirnrunzelnd Andreas’ Noten durchging. Er schien
vollkommen darin versunken zu sein. Als sie die Sonate beendeten, konnte Quantz
nicht verhehlen, dass er gespannt war, ob und, wenn ja, was der Leipziger
herausgefunden hatte.
Quantz setzte die
Flöte ab. Er hatte das Werk auch beim zweiten Mal ohne Patzer gemeistert. Keine
schlechte Leistung.
»Herr Quantz, ich
wusste nicht, dass mein Bruder einen so versierten Primavistaspieler
beschäftigt. Bravo. Wir alle wissen, dass Ihr Part sehr schwer ist.« Die
Prinzessin sah sich suchend um. »Und nun bin ich gespannt, ob Herr Mizler Ihr
Rätsel gelöst hat und wir noch ein weiteres Ergebnis Ihres Besuches heute Abend
genießen können.«
Mizler kam nach
vorn, die Noten in der Hand. »Herr Quantz hat uns etwas ganz Besonderes
vorenthalten«, sagte er und lächelte. Seine Augen blitzten.
»So haben Sie eine
Lösung gefunden?«, fragte die Prinzessin.
»Ich habe in den
Noten etwas entdeckt, das wirklich erstaunlich ist. Allerdings könnte man darin
sicher noch viel mehr entdecken. Wenn man sich mehr Zeit nähme, dann –«
»Sie machen es
spannend, Herr Mizler.« Amalia sah zu Quantz hinüber, der sich redlich bemühte,
eine unbeteiligte Miene aufzusetzen.
»Nun, einfach
gesagt: Wenn man nach einem bestimmten System einzelne Noten aus den Tabellen
herausschreibt, ergeben sich wie von selbst kleine Musikstücke.«
Die Prinzessin
runzelte die Stirn. »Das verstehe ich nicht. Da stehen so viele Noten – ist es
nicht natürlich, dass sie einen musikalischen Sinn ergeben, wenn man sie neu
ordnet?«
»Das ist richtig,
Eure Königliche Hoheit. Aber diese Notierungen sind viel anspruchsvoller. Ich
habe die Reihen durchgezählt. Immer im Abstand von neun Tönen, also nach einer
kompletten Tonleiter, passen die jeweiligen Noten zu den entsprechenden der anderen
Tabelle. Und wenn man sie nacheinander hinschreibt, ergibt sich automatisch ein
mehrstimmiger Satz. Das ist phantastisch.«
»Soll das heißen, es
ist eine Kompositionsmethode?«, fragte die Prinzessin und lehnte sich zurück.
»Viel besser, Eure
Königliche Hoheit. Es ist eine Kompositionsmaschine .
Man muss nichts von Musik verstehen, um sie zu bedienen. Und man kann damit
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