Schatten über Sanssouci
dem Raum, den man
Andreas zugewiesen hatte, bereits sehr hell. So viele Kerzen hatte er bisher
nur in der direkten Umgebung des Königs gesehen. Kerzen waren teuer. Angesichts
der kostbaren Möbel, der Größe des Raumes und nun auch noch der
verschwenderischen Beleuchtung mit Dutzenden von Kerzen konnte es keinen
Zweifel mehr am Reichtum seines Gastgebers geben.
Der Mann blickte auf
das Blatt, das vor Andreas lag, nahm es, schob es zur Seite, nahm das nächste.
Immer erregter blätterte er die leeren Bögen durch.
»Nichts«, rief er
aufgebracht. »So viel Zeit ist vergangen, und du hast nichts geschrieben.«
Er trat einen
Schritt zurück. Er ballte die Faust, und ihm war anzumerken, dass er sich
beherrschen musste, um Andreas nicht zu schlagen.
Andreas hatte
sicherheitshalber die Hände gehoben. Doch der Mann stand nur da, zitterte und
warf ihm einen zornigen Blick zu. Kurz darauf hatte er sich wieder gefasst.
Andreas hatte längst
bemerkt, dass man ihn hier nur deshalb so gut behandelte, weil er wertvoll für
diese Leute war. Folglich würde man ihn nur so lange in Ruhe lassen, bis er
seinen Dienst versehen und alles aufgeschrieben hatte, was diese Leute von ihm
wollten.
Danach war er
nutzlos. Man würde ihn sicher schlechter behandeln. Vielleicht sogar töten.
»Ich habe dir genau
erklärt, was wir brauchen«, sagte der Mann. »Liegt es daran, dass du dich nicht
wohlfühlst? Kannst du in dieser Umgebung nicht nachdenken?«
Andreas war in der
Zwickmühle. Wenn er den Auftrag ausführte, würde man ihn sicher töten. Wenn er
den Auftrag nicht ausführte, würde der Mann irgendwann die Geduld verlieren.
Und ihn ebenfalls töten.
Er musste dem Mann
verdeutlichen, wie sinnlos und überflüssig das ganze Unternehmen war. Dass
Andreas sich etwas Neues überlegen musste und dass er dafür Zeit brauchte.
Diese Zeit mussten sie ihm geben, ohne ungeduldig zu werden und ohne ihn zu
quälen. Vielleicht konnte er dann sehr lange Zeit in dieser angenehmen Umgebung
verbringen. Er musste es nur geschickt anstellen.
Langsam schüttelte
er den Kopf.
»Was soll das?«,
rief der Mann aus. »Heißt das nein? Aber was meinst du damit?«
Andreas ließ die
Hände, die Handflächen nach unten gewandt, über dem Papier schweben und bewegte
sie hin und her.
»Was willst du mir
sagen? Ich verstehe dich nicht.«
Andreas hob die
Schultern.
»Du kannst es
nicht?«
Wieder schüttelte
Andreas den Kopf.
»Du willst es also
nicht? Das habe ich schon gemerkt.«
Nicken.
»Du willst es also
doch?«
Kopfschütteln.
Der Mann seufzte.
»Kerl, was meinst du nur? Das ergibt doch alles keinen Sinn.«
Andreas hob die
Hände und bewegte sie wie ein Flötenspieler.
»Was machst du da?«
Der Mann betrachtete die seltsame Geste. »Flöte? Willst du Flöte spielen?«
Der Mann runzelte
die Stirn und starrte auf Andreas, der nun die Hände still hielt. »Aber es geht
um eine Flöte? Nein? Ach, es geht um einen Flötenspieler? Der Flötenspieler … Der
Kammermusikus. Meinst du ihn?«
Andreas nickte.
»Na endlich. Aber
was willst du nun sagen?«
Andreas wies auf die
Blätter, spielte dann wieder auf der unsichtbaren Flöte und zeigte nach unten
auf die Blätter. Dann deutete er auf seinen Kopf.
»Soll das heißen,
der Kammermusiker weiß von dem, was wir hier tun? Kerl, ich warne dich …«
Andreas schüttelte
den Kopf.
»Nicht? Aber er weiß etwas ?«
Er hatte es
verstanden. Andreas bekräftigte es durch heftiges Nicken.
Der Mann zog die
Augen zu Schlitzen zusammen. »Er kennt das System? Ist es das, was du sagen
willst? Er hat ein System von dir? Sodass nutzlos ist, was wir hier tun?«
Andreas wartete
mehrere Atemzüge. Dann nickte er langsam.
»Verdammt«, schrie
der Mann. »Warum hast du das getan? Was machen wir jetzt? Eine neue
Ausarbeitung wird nichts nützen. Was ist, wenn der König das Grundprinzip von
Quantz erfährt? Oh, du bist ein Narr. Hast du es ihm verraten?«
Andreas reagierte
nicht.
»Oh nein«, rief der
Mann und legte die Hand auf seine Perücke, »du kannst es ihm nicht verraten
haben. Du kannst ja nicht sprechen.« Er lief aufgebracht im Raum herum, blieb
dann plötzlich stehen. »Du machst eine neue Ausarbeitung. Vorher wirst du weder
essen noch schlafen. Und um den Rest kümmern wir uns.«
Er stürmte hinaus
und donnerte hinter sich die Tür zu. Der Schlüssel drehte sich im Schloss.
Andreas spürte, wie
eine Last von ihm abfiel. Er hatte den gewünschten Aufschub gewonnen.
***
»Danke, dass Sie
mich
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